Die Architektinnen Lena Salm und Sophie Seifert zeigen, wie die Umnutzungsplanung von leerstehenen Gebäuden dank Digitalisierung einfacher wird
Verfallende Fabrikhallen, unbewohnte Häuser und stillgelegte Bahnhöfe – vielerorts sind die Auswirkungen des demografischen und strukturellen Wandels augenscheinlich. Ohne Feuchteeintrag, Schädlingsbefall oder Vandalismus können Gebäude mehrere Jahrzehnte leer stehen, ohne substanziell geschädigt zu werden. Soll wieder jemand einziehen, wird häufig saniert. Oft wird der Anlass genutzt, um ein Gebäude an veränderte Wohnbedürfnisse anzupassen: In einstigen Wohnhäusern für Großfamilien finden Ein-Raum-Apartments ihren Platz, ehemalige Fabriken werden zu Loftwohnungen umgebaut und in Bahnhöfen entstehen soziokulturelle Zentren.
Umbau statt Abriss
„Es ist viel nachhaltiger, leerstehende Häuser umzubauen und wieder nutzbar zu machen, als sie abzureißen und neu zu bauen – zumal diese Gebäude ja auch den Charakter einer Stadt prägen. Allerdings treten bei einem Umbau oft Überraschungen auf, die den Bauprozess verteuern und in die Länge ziehen“, erklärt die Architektin Lena Salm von der Nachwuchsforschungsgruppe DemoS und führt weiter aus: Zwar sollten sich im Bauaktenarchiv einer Stadt neben dem Bauantrag sämtliche Akten zum Gebäude befinden. Was im Laufe der Jahrzehnte nachträglich verändert wurde, sei allerdings oft unvollständig dokumentiert – ebenso wenig die Setzung und Verformung des Gebäudes über die Jahre.
Der erste Schritt zur Wiederbelebung ist deshalb das sogenannte Aufmaß: eine umfangreiche Vermessung und Dokumentation der Bausubstanz. Salms Kollegin Sophie Seifert erklärt: „Die meisten Architekturbüros arbeiten dabei analog, mit Distanzmessern und Zollstöcken. Das heißt, sie notieren sich die Daten vor Ort und erzeugen danach im Büro ein digitales Gebäudemodell. Ungenauigkeiten oder fehlende Werte fallen frühestens beim Übertragen der Daten in die Konstruktionssoftware auf. Für Nachmessungen geht es erneut zum Objekt. Das kann ganz schön Zeit fressen.“
Alternativ wird ein Vermessungsbüro beauftragt, das mit Laserscannern arbeitet. Dabei entstehen zwar sehr exakte, aber gleichzeitig riesige Datenmengen. Für die Weiterbearbeitung zu digitalen Modellen müssen diese reduziert werden – ebenfalls eine aufwendige Angelegenheit.
Aufmaß per HoloLens
Im Rahmen der Nachwuchsforschungsgruppe haben die beiden Architektinnen deshalb untersucht, inwieweit sich die Mixed-Reality-Brille HoloLens für das Aufmaß verwenden lässt. Die Brille funktioniert ähnlich wie ein Smartphone. Über ihre halbdurchsichtigen Gläser können virtuelle Inhalte dreidimensional ins Blickfeld eingeblendet werden.
„Die HoloLens ist mit einer sogenannten Time-of-Flight-Kamera ausgestattet. Mit diesem Kamerasystem kann die Entfernung und die dreidimensionale Struktur von Gegenständen in Echtzeit erfasst werden. Im Automobilbereich wird eine vergleichbare Technik beispielsweise für Fahrerassistenzsysteme genutzt“, sagt Salm. Gemeinsam mit Seifert hat sie für die Brille einen Workflow konzipiert, der das Erfassen der Raumarchitektur in Echtzeit ermöglicht. Herzstück ist eine eigens programmierte App.
Praxistest zeigt Zeitersparnis
Anfang 2019 haben die beiden Architektinnen das System live in einer leerstehenden Wohnung getestet. Salm erläutert das Vorgehen: „Die etwa 65 Quadratmeter große Dachgeschosswohnung im Leipziger Gründerzeitviertel Stötteritz sollte mit dem restlichen Dachstuhl zu einer großen Wohnung umgebaut werden. Wir haben die Wohnung auf zwei verschiedene Arten vermessen. Mit dem Laserscanner waren wir vier Stunden beschäftigt, mit der HoloLens haben wir nur eine halbe Stunde benötigt.“
Hinzu kommt in beiden Fällen noch die Datennachbereitung am Computer. Salm urteilt: „Herkömmliche Verfahren wird die HoloLens nicht komplett ablösen. Dazu werden Kanten und Ecken nicht exakt genug erkannt. Aber für die frühe Planungsphase ist die Detailtiefe der HoloLens ausreichend."
Über die beiden Architektinnen
Sophie Seifert (*1992, links) und Lena Salm (*1990) studierten beide an der HTWK Leipzig Architektur. Bereits als Studentinnen arbeiteten sie in der Forschungsgruppe FLEX von Prof. Alexander Stahr und beschäftigten sich mit den Themen Demografie und Digitalisierung.
Nach dem Ende von DemoS wechseln beide in die Wirtschaft: Lena Salm und Sophie Seifert werden als Architektinnen im Hoch- und Städtebau den Wandel Leipzigs mitgestalten.
Sophie Seifert und Lena Salm waren Mitglieder der Nachwuchsforschungsgruppe „Systemlösungen zur Gestaltung des Demografie- und Strukturwandels“ (DemoS) an der HTWK Leipzig. Das Projekt wurde durch das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst von 2016 bis 2019 mit rund 1,2 Millionen Euro aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds gefördert.
Autorin: Dr. Rebecca Schweier
Dieser Text erschien zuerst im Forschungsmagazin Einblicke 2019 der HTWK Leipzig. Hier können Sie das Magazin digital lesen oder kostenfrei abonnieren.