Im Alter wird Treppensteigen immer schwerer. Max Böhme und Felix Weiske entwickeln deshalb eine Art Siebenmeilenstiefel fürs Treppensteigen
Bis ins hohe Alter selbstständig wohnen, das wünschen sich wohl alle. Doch die wenigsten Altbauten sind barrierefrei, und Treppen sind mit zunehmendem Alter immer schwieriger zu bewältigen. Fahrstühle und Treppenlifte können nicht in jedem Haus installiert werden, außerdem sind sie nicht gerade billig. Die beiden Nachwuchswissenschaftler Felix Weiske und Max Böhme von der HTWK Leipzig haben deshalb eine Art Siebenmeilenstiefel fürs Treppensteigen entwickelt.
Äußerlich ähnelt das Gerät einer klassischen Orthese, wie sie zur Rehabilitation von Knieverletzungen verwendet wird. Doch im Inneren befinden sich mehrere Sensoren sowie ein kleiner Motor. „Unser Ziel ist eine Art intelligenter Stiefel, der leicht an- und ausziehbar ist und die noch vorhandene Muskelkraft individuell unterstützt“, erklärt Böhme. Innerhalb von drei Jahren sind die beiden Ingenieure diesem Ziel ziemlich nahegekommen.
Wie funktioniert Treppensteigen?
Zunächst haben Böhme und Weiske im Biomechaniklabor der Universität Leipzig die Bewegungsabläufe beim Treppensteigen von 25 Personen untersucht, darunter 13 Seniorinnen und Senioren. Die Fragestellung: In welchem Gelenk wird wieviel Kraft aufgebracht, um eine Stufe zu bewältigen? Außerdem interviewten sie die Teilnehmenden zu ihren Vorstellungen und Bedürfnissen.
„Ein wichtiger Aha-Effekt für uns war: Für viele ist es schwieriger, treppab die Balance zu halten als treppauf die nötige Kraft aufzubringen. Unser System muss also automatisch erkennen, welche Bewegung unterstützt werden soll“, sagt Weiske. Der Elektrotechnik-Ingenieur hat die Algorithmen programmiert, auf deren Grundlage das sogenannte Exoskelett den individuellen Gang eines Menschen erlernt. „Das ist das, was gemeinhin mit künstlicher Intelligenz bezeichnet wird: eine selbstlernende Maschine“, erläutert Weiske.
Gewinner im Hochschulwettbewerb
Anfang 2019 stellten Böhme und Weiske die erste Version fertig. Wenige Wochen später waren sie damit schon im Fernsehen. Denn mit ihrem Exoskelett gewannen die beiden als eines von 15 Forschungsteams den Hochschulwettbewerb zum Wissenschaftsjahr „Künstliche Intelligenz“. Das Preisgeld in Höhe von 10.000 Euro nutzen Böhme und Weiske zur Gestaltung mehrerer interaktiver Ausstellungen in Leipzig, Köln und Berlin. Ein Ziel: möglichst viel Feedback von potenziellen Anwenderinnen und Anwendern zu erhalten.
„Der technologische Fortschritt findet schnell und oft ohne Einbindung der Gesellschaft statt. Genau das wollen wir anders machen“, erklärt Böhme die Motivation der beiden Forscher. Dabei bekamen sie viel Lob, aber auch Verbesserungsvorschläge. Beispielsweise finden einige Ältere das Exoskelett zu schwer, außerdem sieht es manchen nach „zu viel Technik“ aus. Die Anregungen sollen in der nächsten Version des Exoskeletts Berücksichtigung finden.
„Unsere Vision ist, dass das Gerät später in einer Ladestation neben der Treppe steht und im Handumdrehen angezogen ist. Das könnte älteren Menschen das Wohnen in ihrer vertrauten Umgebung einige Jahre länger ermöglichen“, sagt Böhme.
Über die Nachwuchsforscher
Max Böhme
(*1993) studierte Maschinenbau an der HTWK Leipzig. Nach seinem Master-Abschluss stieg er direkt in die Nachwuchsforschungsgruppe DemoS ein. Böhme strebt eine Promotion in Kooperation mit der Technischen Universität Berlin zur Konstruktion von Bewegungsunter-stützungssystemen an.
Felix Weiske
(*1991) studierte Elektrotechnik und Informationstechnik an der HTWK Leipzig. Bereits im Studium entwickelte er für einen Roboter Steuerungsalgorithmen, der seine Bewegungsmöglichkeiten durch eigenständiges Erkunden lernt. Die Erfahrungen aus DemoS fließen in seine Promotion in Kooperation mit dem Informatik-Institut der Universität Leipzig ein.
Felix Weiske und Max Böhme waren Mitglieder der Nachwuchsforschungsgruppe „Systemlösungen zur Gestaltung des Demografie- und Strukturwandels“ (DemoS) an der HTWK Leipzig. Das Projekt wurde durch das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst von 2016 bis 2019 mit rund 1,2 Millionen Euro aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds gefördert.
Autorin: Dr. Rebecca Schweier
Dieser Text erschien zuerst im Forschungsmagazin Einblicke 2019 der HTWK Leipzig. Hier können Sie das Magazin digital lesen oder kostenfrei abonnieren.