CSD 2020 - „Lasst uns heute gemeinsam damit anfangen!“
Die Woche des Christopher Street Day (CSD) in Leipzig ist zwar vorbei, die Anliegen und Forderungen bleiben aber das ganze Jahr präsent. Egal ob wir verallgemeinernde Urteil über Menschen revidieren, uns selbst reflektieren in unserem Handeln oder gegen Diskriminierung in unserer Gesellschaft eintreten - es liegt an uns, etwas zu verändern!
„Das Beste ist: Wir können heute damit anfangen“, meint Ronja Kambach, Referentin für Gleichstellung und Inklusion des StuRa. Ihren Redebeitrag zum CSD Leipzig 2020 findet Ihr hier zum Nachlesen.
Rede zum CSD Leipzig unserer Referentin für Gleichstellung und Inklusion
Lange Zeit habe ich gegrübelt, was ich euch in dieser Rede erzählen soll. Ihr alle seid heute hier, weil ihr wohlmöglich selbst Erfahrungen mit Ausgrenzung und Diskriminierung gemacht habt und euch für die gesellschaftliche Akzeptanz und die Rechte von Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierungen und Geschlechtlichkeiten stark machen wollt. Was soll ich euch schon erzählen, was ihr nicht ohnehin bereits wisst? Schließlich wisst ihr um den Schmerz, den Ausgrenzung und Diskriminierung mit sich bringen. Und niemals würdet ihr es zulassen, dass irgendein Mensch euretwegen diesen Schmerz empfindet. So dachte ich zumindest eine kleine Weile lang, bis mich der Gedanke an eine homosexuelle Bundestagsabgeordnete- die nie eine Gelegenheit auslässt, um sich auf Stereotypen gestützt menschenverachtend zu äußern – wieder auf den harten Boden der Realität zurückholte. Nur, weil man selbst bereits mit Vorurteilen und Diskriminierung konfrontiert wurde und wird, heißt das bei weitem nicht, dass man anderen Menschen vorurteils- und diskriminierungsfrei begegnet.
Um eines zuallererst klarzustellen: Wir alle, mich eingeschlossen, haben vorgefasste und verallgemeinernde Meinungen über Menschen. Die sogenannten Stereotypen haben wir auf vielfältige Weise durch Sozialisation erlernt und erworben. Prinzipiell sind Vorurteile auch gar nichts schlechtes. Sie erfüllen sogar einige sehr wichtige psychische Funktionen für uns. Zum einen ermöglicht uns die Kategorisierung von Menschen in einer immer komplexer werdenden Welt uns besser zu orientieren. Zum anderen entlasten Vorurteile unser Alltagsbewusstsein, indem wir Personen und Situationen nicht ständig neu interpretieren und bewerten müssen. Hinzukommt, dass Stereotypen unser eigenes Selbstwertgefühl steigern können und sie die Möglichkeit bieten, Aggressionen von ihren wahren Verursachern auf bequemere Ziele zu projektieren.
Neben all den für unsere Psyche positiven Effekten haben Vorurteile auch zahlreiche bittere Nebenwirkungen. Sie verfälschen unsere Wahrnehmungen, verführen uns dazu Menschen nicht mehr als selbstständige, einzigartige Individuen zu betrachten und im schlimmsten Fall führen Vorurteile sogar dazu, dass wir Menschen diskriminieren.
Ich möchte euch nun gerne dazu einladen, einen Moment innezuhalten und an eine Situation zu denken, in der euch vorurteilsbehaftete Gedanken aufkamen oder ihr euch diskriminierend gegenüber anderen Menschen verhalten habt.
Auch wenn es mir unangenehm ist, möchte ich gerne eine persönliche Erfahrung, die ich mit meinen eigenen Vorurteilen gemacht habe, mit euch teilen. Ich war noch ein Kind als ich damals mit dem Bus gefahren bin und eine Gruppe Menschen mit unterschiedlichsten Schwer- und Mehrfachbehinderungen samt ihrer Assistenten eingestiegen. Bis dato hatte ich keine Berührungspunkte mit dem Thema Behinderung gehabt und es fiel mir daher schwer die Situation einzuschätzen. Ich fühlte mich unwohl, verunsichert und wusste nicht, wie ich mich verhalten soll. Ich hatte schlichtweg Berührungsängste. Was ich damals gedacht habe, möchte ich an dieser Stelle nicht wiederholen.
Vor einigen Jahren war ich dann bereit mein Vorurteil auf die Probe zustellen und den Kontakt zu suchen. Mittlerweile arbeite ich mehrmals die Woche bei einem Leipziger Verein, der Freizeitangebote für Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen anbietet. Ich bin unglaublich froh, diesen Schritt damals gewagt zuhaben, denn sonst hätte ich so viele außergewöhnliche und bezaubernde Menschen niemals kennengelernt und auf zahlreiche positive Erfahrungen verzichtet.
Aber, wie bereits erwähnt: Wir alle haben Vorurteile. Und so haben auch wiederum einige von den Menschen, mit einem schwer-in-Ordnung-Ausweis Vorurteile z.B. gegenüber homosexuellen Personen.
Glücklicherweise sind uns im Kampf gegen Vorurteile nicht die Hände gebunden. Wir haben alle die Möglichkeit unsere vorschnellen, verallgemeinernden Urteile über Menschen zu revidieren, indem wir den Kontakt suchen, positive Erfahrungen sammeln und unser Wissen erweitern. Wenn wir uns stetig in Frage stellen, uns selbst reflektieren und offen bleiben für Kritik an unserem Handeln können wir alle etwas gegen Diskriminierung in unserer Gesellschaft tun.
Und das Beste ist: Wir können heute damit anfangen!