Aktueller Monitoringbericht zur Situation der Branche - HTWK-Volkswirtschaftler Rüdiger Wink ist Co-Autor
Während viele Gewerbe der deutschen Kultur- und Kreativbranche um ihre Existenz bangen, profitieren andere sogar von den Maßnahmen zur Eindämmung der COVID 19-Pandemie. Trotz der Widerstandsfähigkeit der Branche müsse sie jedoch gefördert werden, fordert Rüdiger Wink, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK Leipzig). Erstmals untersuchte er im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) - gemeinsam mit der Goldmedia GmbH und der Hamburg Media School (HMS) - die wirtschaftlichen Kennzahlen der Kultur- und Kreativbranche für den Monitoringbericht, der im Oktober 2020 in der Kurzfassung erschienen ist (die Langfassung soll Anfang Dezember erscheinen).
„Angesichts der starken Abhängigkeit vieler Bereiche von physischer Nähe war es leider zu erwarten, dass die Kreativwirtschaft von der Situation besonders stark betroffen ist. Es ist auf jeden Fall für alle Beteiligten der Branche und der Politik eine Herausforderung, dass aus diesem Einbruch kein dauerhafter Trend mit strukturellem Wegfall ganzer Teilbereiche entsteht“, so Prof. Rüdiger Wink. Laut den Prognosen erwartet die Branche für 2020 Verluste von mehr als
42 Milliarden Euro – knapp ein Viertel des sonstigen Gesamtumsatzes. Damit wird sie nach einem mehr als zehn Jahre andauernden positiven Trend schmerzhaft zurückgeworfen. Noch 2019 erwirtschafteten die fast 260.000 deutschen Kreativ-Unternehmen mit mehr als 1,8 Millionen Erwerbstätigen einen Umsatz von 174 Milliarden Euro. Der Anteil am Brutto-Inlandsprodukt lag im Vorjahr bei 3,1 Prozent und war damit ähnlich hoch wie in der Maschinenbaubranche und sogar höher als beispielsweise in den Zweigen Finanzdienstleistung oder Energieversorgung.
Pandemiebedingter Digitalisierungsschub nützt nur bestimmten Teilmärkten
Besonders hart trifft die Pandemie alle Darstellenden Künste und die Filmwirtschaft. Hier wird mit Umsatzverlusten von je mehr als 70 Prozent gerechnet. Auch der Kunstmarkt und die Musikwirtschaft haben mit Umsatzverlusten von minus 64 bzw. minus 59 Prozent zu kämpfen. Gründe hierfür sind - neben einer deutlichen Begrenzung von Kapazitäten in Theater- und Konzertsälen - das weitgehende Verbot von Großveranstaltungen und die komplette Schließung von Einrichtungen. Doch selbst in besonders schwer getroffenen Teilmärkten gebe es positive Tendenzen: Beispielsweise ist das Audio-Streaming in der Musikwirtschaft weiterhin ein Wirtschaftsmotor.
Als widerstandsfähig können der zusammengefasste Software- und Games-Markt - mit „nur“ minus zehn Prozent Umsatzrückgang - bezeichnet werden. Allein auf diesen Markt entfiel 2019 rund ein Viertel der Gesamtumsätze der Kultur- und Kreativwirtschaft. Als besonders widerstandsfähig erwiesen sich dabei Streaming, Podcasts und Games. Laut Wink erhöhte der pandemiebedingte Digitalisierungsschub hier die Nachfrage: Seit Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 spielen laut einer Befragung mehr Menschen Games als bisher – jede(r) zweite Nutzer bzw. Nutzerin durchschnittlich sieben Stunden pro Woche. Die Games-Umsätze sind in Deutschland von 2,93 Milliarden Euro im ersten Halbjahr 2019 auf 3,71 Milliarden Euro im ersten Halbjahr 2020 gestiegen. Der leichte Umsatzrückgang ergibt sich durch die schwächere Nachfrage im Software-Bereich.
Auch Leipzig als Stadt der Kreativen betroffen
Bundesweit treffe die negative Lage vor allem Großstädte und Metropolregionen. Bayern und Baden-Württemberg seien aber insgesamt stärker betroffen als Nord- und Ostdeutschland, so Wink. Besonders stark bemerkbar mache sich dies aber auch in Leipzig, denn in der Messestadt sind ebenfalls eine starke und vielfältige Kultur- und Kreativbranche sowie viele Solo-Selbstständige und kleine Unternehmen ansässig. „Leipzig hat auch ein vergleichsweise starkes Software- und sonstiges IT-Segment. Hier wird man sehen müssen, wie stark kurzfristig die Kunden aus anderen Branchen ihre Budgets zurückfahren“, so Wink weiter.
Bei einer Analyse zur Beschäftigung von „Kreativen“ außerhalb der Kultur- und Kreativbranche zeigte sich außerdem, dass jene in Sachsen im Bundesländervergleich leicht unterdurchschnittlich, aber stärker als andere Flächenbundesländer wie Niedersachsen oder Rheinland-Pfalz abschnitten. Wink dazu: „Leipzig kann im Vergleich mit anderen Großstädten sehr gut mithalten. Das heißt, Beschäftigte aus der Kreativwirtschaft können in Leipzig auch Jobs in Branchen außerhalb der Kreativbranche finden, auch wenn ich natürlich hoffe, dass sich die Kreativwirtschaft in Leipzig schnell wieder erholt.“
Doch was folgt daraus – was sollte laut Rüdiger Wink getan werden, damit die Kultur- und Kreativbranche die Krise übersteht? „Zum einen müssen aus meiner Sicht die kurzfristigen Rettungsprogramme besser auf die Besonderheiten der Unternehmen und Solo-Selbstständigen in der Kreativwirtschaft angepasst werden. Zum anderen müssen Förderprogramme auch verstärkt die nicht-technischen Innovationen aus der Kreativwirtschaft in den Fokus nehmen, die durch neue Geschäftsmodelle und Dienstleistungsangebote auch anderen Branchen wichtige Impulse bieten.
Die Palette reicht hier von der Entwicklung neuer interaktiver Spiele zur Gesundheitsvorsorge über die Gestaltung von Personenleitsystemen wie auf Flughäfen oder innovativen Geschäftsmodellen wie Sharing-Plattformen von Airbnb bis hin zu erneuerbaren Energiegemeinschaften. Die Prognosen gehen außerdem noch zurück auf die Zeit des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 - noch ist nicht abzusehen, wie sich die Regelungen des sogenannten ‚Lockdown light‘ in diesen letzten Wochen des Jahres und allgemein die Belastungen durch zusätzliche Kosten für Hygienekonzepte und Einnahmeverluste auswirken“, resümiert Wink.
Corona verstärke und beschleunige vermutlich viele Trends in der Digitalisierung, hin zu Streaming und E-Commerce, die ohnehin bereits existieren. „Vielleicht schärft die Beschleunigung aber auch den Blick der Konsumenten und Konsumentinnen – und das sind wir ja alle - für das, was wir ohne gemeinsame Live-Erlebnisse in physischer Nähe zueinander verlieren – wie viel also dauerhaft strukturell verschwindet, können wir noch gar nicht absehen“, so Wink.
Hintergrund
Das Monitoring wird seit 2009 jährlich von der Bundesregierung veröffentlicht. Damit soll die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung der Branche transparent gemacht werden. Die Daten der Studie stammen von öffentlich zugänglichen Quellen wie dem Statistischen Bundesamt sowie der Bundesagentur für Arbeit. Genaue Daten, wie stark die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie 2020 tatsächlich ausfallen, werden naturgemäß erst 2021 vorliegen.