Gewalt gegen Frauen geschieht meist in den eigenen vier Wänden. Die HTWK Leipzig erforscht den Zusammenhang von sicherem Wohnen und häuslicher Gewalt
Im eigenen Heim will man sich geborgen fühlen, doch nach wie vor werden viele Menschen Opfer häuslicher Gewalt in einer intimen Beziehung oder im Rahmen einer Trennung. In 80 Prozent der gemeldeten Fälle sind Männer die Aggressoren und verüben sexualisierte sowie körperliche Gewalt wie Schläge und Tritte. Zudem kommt es zu psychischer Gewalt wie Demütigungen, Drohungen, Einschüchterungen oder sozialer Isolation.
Häusliche Gewalt ist eine große Gefahr für die körperliche und seelische Unversehrtheit der Betroffenen und setzt sich häufig über Generationen fort. Zunehmend prekäre Wohnverhältnisse bergen ein zusätzliches Risiko: Knapper Wohnraum, fesselnde Mietverhältnisse, fehlende Wohnperspektiven nach dem Aufenthalt in Frauenhäusern oder eine digitale Kontrolle durch die Partnerinnen und Partner tragen eine Mitschuld. Ebenfalls problematisch ist, dass es für Menschen aus ländlichen Räumen schwieriger ist, Hilfe von Trägern oder Netzwerken zu erhalten. Aber auch in Städten werden die Bedarfe von Betroffenen in multiplen Problemlagen, die beispielsweise durch eine Behinderung oder psychische Erkrankung entstehen, nicht im Sinne der Istanbul-Konvention erfüllt.
Die Istanbul-Konventionen
Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, auch Istanbul-Konvention genannt, ist ein völkerrechtlicher Vertrag. Die Konvention schafft seit 2014 verbindliche Rechtsnormen gegen Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt.
Neue Forschungsstelle
Den Zusammenhang zwischen sicherem Wohnen und häuslicher Gewalt erforschen Rüdiger Wink, Professor für Volkswirtschaftslehre, und die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Friederike Frieler und Sarah Otto seit April dieses Jahres. In den nächsten drei Jahren wollen sie, gefördert vom Freistaat Sachsen, eine interdisziplinäre Forschungsstelle etablieren und ein Netzwerk von Akteurinnen und Partnern in Sachsen aufbauen.
Die interdisziplinäre Forschungsstelle zur Prävention häuslicher Gewalt und Förderung sicheren Wohnens arbeitet mit Erkenntnissen, die aus Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Psychologie und Geisteswissenschaften zusammenfließen. Dabei kooperieren sie mit regionalen Trägereinrichtungen und der Wohnungswirtschaft.
Zunächst analysierten sie das bestehende Netzwerk und erschlossen Datenquellen zu Sozialräumen in sächsischen Städten. Im nächsten Schritt wollen sie Kooperations- und Transferstrukturen mit gesellschaftlichen Akteuren sowie mit Unternehmen aus der Wohnungswirtschaft aufbauen. Ziel ist es, gemeinsame Transferformate und Präventionsprogramme zu entwerfen und das Thema international weiter zu verfolgen. Denkbar ist zukünftig, dass die HTWK Leipzig Modellprojekte und Pilotvorhaben zum Thema wissenschaftlich begleitet und an der Einwerbung entsprechender Fördermittel mitwirkt.
Die Wohnung, ein sicherer Ort?
Sich zuhause sicher fühlen – dieses Grundbedürfnis ist für Betroffene häuslicher Gewalt nicht erfüllt. Meist handelt es sich um Frauen und Kinder. Um der Gewalt zu entkommen, ist fast immer das Aufsuchen eines sicheren Ortes beziehungsweise der Umzug in eine neue Wohnung notwendig. Der Wohnungswechsel ist mit einer Vielzahl von Schwierigkeiten verbunden, die aus den individuellen Schutz- und Versorgungsbedürfnissen der Betroffenen, psychischer Verletzung und Traumatisierung sowie geringem Zugang zu Ressourcen erwachsen können. Doch auch wenn die eigene Kraft noch reichen mag, können strukturelle Probleme wie ein allgemeiner Mangel an leistbarem Wohnraum, Diskriminierung und Vorbehalte gegenüber Betroffenen ein Hindernis darstellen. Lange Aufenthalte in Schutzhäusern, verdeckte oder offene Wohnungslosigkeit sind nur einige der ungünstigen Folgen für betroffene Frauen. Hier können Erkenntnisse über die Bedingungen für Interventionsmöglichkeiten dazu beitragen, Betroffenen den Zugang zu sicherem Wohnraum zu erleichtern.