Im (virtuellen) Gespräch mit einem Team vom Institut für digitales Lehren und Lernen
Die Pandemie bestimmt seit einem Jahr unseren Alltag – unser privates und berufliches Leben hat sich komplett verändert, und auch das Hochschulleben ist nicht mehr das gleiche wie bisher. Es gab und gibt Einschnitte in allen Bereichen - Corona hat die Welt verändert. Digital Workplace, Homeoffice und Digitalisierungsschub wurden von Schlagworten plötzlich zur Realität. Auch die Wahrnehmung von Wissenschaft und Forschung in der breiten Öffentlichkeit hat sich mit der Pandemie verändert und stark zugenommen. Dazu hat auch die HTWK Leipzig mit verschiedenen Projekten beigetragen. Zeit für eine erste Bilanz: Was bedeutet die „Corona-Krise“ für die Gesellschaft, für uns alle?
Zum Institut für digitales Lehren und Lernen (IDLL)
Franka Platz (FP): Ein Jahr Leben mit Corona: Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Gabriele Hooffacker: Meine Bilanz ist ein „einerseits – andererseits“: Einerseits erlebt man den Kontrollverlust als sehr beunruhigend. Vor einem Jahr haben wir gespottet über Leute, die Nudeln und Klopapier gehamstert haben, um irgendwie die Kontrolle über ihr Leben wieder zurückzubekommen. Aber verunsichert waren wir alle. Andererseits haben wir uns dann mit den Bedingungen arrangiert. Von Studierenden wie von Lehrenden habe ich auch gehört, dass es gar nicht so schlecht war, dass etwa viel Fahrzeit entfallen ist. Ich konnte an Fortbildungen und Konferenzen teilnehmen, die in Dresden oder Berlin stattfanden, ohne reisen zu müssen. Einzelne Studierende meinten sogar, sie konnten Studium und Nebenjob besser verbinden (naja, wird sich zeigen).
FP: Stichwort Hochschule und Studium – alles wurde quasi „über Nacht“ durchdigitalisiert und in den virtuellen Raum verlagert. Wie hat das digitale Lehren und Lernen aus Ihrer Sicht seitdem geklappt?
Gabriele Hooffacker: Digitale Lehre, E-Learning – so weit sind wir noch nicht. 2020 mussten wir Lehrenden im Hauruck-Verfahren auf Online-Kurse umstellen. Jetzt, nach einem Jahr Erfahrungen, könnten wir anfangen, über langfristige Konzepte für die Digitalisierung der Lehre nachzudenken. Welche Elemente nehmen wir in die Präsenzlehre auf? Lässt sich ein Teil der Präsenz- tatsächlich in die Online-Lehre verlagern? Wenn ja, wie könnten solche Konzepte aussehen, damit sie allen Beteiligten eine gute Work-Life-Balance ermöglichen und die Studierenden dabei bestens auf die Herausforderungen in Studium und Beruf vorbereiten?
Katja Hornoff: Aus Sicht des E-Learning-Services sind wir bereits viele Jahre dabei, Unterstützung bzw. Anreicherung der Lehre durch digitale Mittel zu ermöglichen. Es ist ein bisschen traurig – aber eben vielleicht auch menschlich - zu erleben, dass erst eine Pandemie kommen muss, um da stärker voran zu kommen als bisher. Doch das betrifft nicht nur die Hochschule.
Sebastian Gomon: Wenn es nicht bereits Know-How und vorhandene Strukturen wie bspw. OPAL gegeben hätte, an dem schon lange entwickelt und verbessert wurde, dann hätten wir vor elf Monaten gar nichts gekonnt. Gut, dass die Hochschule nicht völlig unvorbereitet war! Die komplette Organisation der HTWK hat im vergangenen Jahr spürbare Veränderungen durchlaufen. Inzwischen habe ich den Eindruck, dass wir aktiv handeln und nicht mehr nur reagieren.
André Göhlich: Mir hat bei der Umstellung auf die digitale Lehre sehr meine hochschuldidaktische Weiterbildung geholfen. Vieles hatte ich vorher bereits ausprobiert, wie z. B. Screencasts, sodass ich nicht bei Null anfangen musste. Aus meiner Sicht war auch viel Kreativität und das Schaffen von Struktur im Umgang mit der neuen Lehrsituation gefragt. Eine 1 : 1-Umsetzung der Präsenzlehre ins Digitale ist einfach nicht möglich. Da müssen schon einmal neue Wege gegangen werden und die Studierenden brauchen dafür eine klare Struktur, damit sie sich in diesen unsicheren Zeiten zumindest an unserer Hochschule gut orientieren können.
Franziska Amlung: Das stimmt. Die Umstellung hat – zunächst aus der Not heraus - kreative und innovative Ansätze hervorgebracht, nicht nur technisch, sondern auch didaktisch. Ganz spannend ist auch, die eigene Lernsituation als Anlass zur Reflexion zu nehmen und sich selbst zu fragen, was einem in diesem Prozess geholfen hat, mit den neuen Herausforderungen umzugehen.
FP: Was wird wieder verschwinden? Was wird bleiben? Gibt es auch Positives, Chancen durch die Krise?
Gabriele Hooffacker: Zum Ende des Wintersemesters habe ich Studierende befragt, was sie sich insgesamt für die nächsten Semester wünschen würden. „Bloß keine Online-Lehre!“ sagten viele. Vermutlich empfinden es auch viele Lehrende so. Ich glaube, die Pandemie hat als Strukturverstärker gewirkt: Wer keine Scheu vor Online-Lehre hatte, konnte seine Skills ausbauen. Für diejenigen, die ohnehin nicht gern mit digitaler Lehre arbeiten, war es vermutlich erst einmal schrecklich. Es hat sich aber auch gezeigt, welche Strukturen tragen: welche informellen Kontakte funktionieren, welche Teams gut zusammenarbeiten …
Katja Hornoff: Mich interessiert, wie sich der Zusammenhalt bzw. die Zusammenarbeit unter den Lehrenden und Mitarbeitenden verändert hat. Sind sie mehr zusammengerückt und unterstützen einander, tauschen Tipps und Tricks aus? Oder ist es eher so, dass jeder noch mehr sein eigenes Süppchen kocht? Also ich persönlich sehe vor allem in unserer Gruppe eine geniale Zusammenarbeit, die vielleicht vorher nicht so entstanden wäre.
Klaus Hering: Die momentane Ausschließlichkeit der Nutzung digitaler Mittel von heute auf morgen hat ein Spektrum unterschiedlichster Erfahrungen und Fragen kurzzeitig in den Fokus gebracht: überraschende Potentiale bisher wenig oder gar nicht betrachteter technischer Mittel, unterschiedliche Passfähigkeit von Szenarien auf Lehr- und Lernsituationen. Wie flexibel sind wir eigentlich bezüglich der Veränderung unserer Lehre und wie stehen wir zur Kooperation und Kommunikation untereinander? Der Einstieg in digitale Arbeitsweisen erfordert erst einmal einen enormen zeitlichen Aufwand, aber digitale Lehre ist eben in bestimmten Situationen die einzige Möglichkeit, weiter am Studium teilnehmen zu können.Bei dem erhofften Nachlassen des Zwangs durch die Pandemiesituation wird sicher jede und jeder ganz persönlich den adäquaten Einsatz digitaler Methoden reflektieren. Die „Post-Corona-Lehre“ wird anders aussehen als zuvor, mit Sicherheit aber auch nicht so wie jetzt.
André Göhlich: Vieles hat bei uns gut in der digitalen Lehre funktioniert. Manches ist tatsächlich besser gelaufen als in der Präsenzlehre. Davon werden wir - in angepasster Form - bestimmt einiges übernehmen. Positiv ist, dass wir gezwungen waren, OPAL und andere Tools für die Lehre zu nutzen. Wir haben gemerkt, dass wir damit Einiges gut machen können. Als negativ empfinde ich den fehlenden spontanen Austausch unter den Kolleg:innen und mit den Studierenden. Das Gespräch auf dem Gang oder in Mensa gibt es nicht mehr. Aber das ist wichtig im Alltag an einer Hochschule.
Franziska Amlung: Durch die veränderten Rahmenbedingungen ist auch wieder die grundlegende Frage in den Vordergrund gerückt: Wie wollen wir miteinander Arbeiten und uns austauschen? Kommunikation im digitale Raum muss ganz bewusst gestaltet und begleitet werden, damit sie überhaupt stattfinden kann. Hier sind einige ganz wertvolle partizipative Lehrkonzepte umgesetzt worden, um die Studierenden in der digitalen Lehre mit ins Boot zu holen. Ich wünsche mir, dass die Frage ihren Stellenwert behält und auch zukünftig bedacht wird, auch wenn wir wieder in die Präsenzlehre übergehen.
FP: Aus Ihrer Sicht: Welche Folgen hat die Pandemie – kurz-, mittel-, langfristig?
Gabriele Hooffacker: Zuerst die Dystopie: Alle haben von der Online-Lehre derartig die Nase voll, dass sie wieder in ihren alten Trott zurückfallen. Dann die Eutopie: Wir erfinden „Studieren“ neu, bauen Lehr-/Lernkonzepte, die auf die individuellen Situationen von Lehrenden und Lernenden zugeschnitten sind, wechseln klug und systematisch zwischen Präsenz- und Distanzlehre und entdecken neue Möglichkeiten. Das Ganze flankiert von wissenschaftlicher Begleitung und schließlich systematischer Erleichterung auf rechtlicher Ebene.
Katja Hornoff: Ich befürchte, dass sich der „alte Trott“ eher wieder einschleicht, da die Produktion digitaler Lerninhalte teilweise sehr aufwendig ist. Zumindest dann wenn es wieder an die Neuproduktion geht, bereits erstellte Materialien werden sicherlich noch länger zum Einsatz kommen. Die Online-Klassenräume werden, denke ich bleiben, vor allem für schnelle Treffen oder Sprechstunden.
Klaus Hering: Ich hoffe mittelfristig sehr auf langfristigeres und strategisches Denken bezüglich digitalem Lehren und Lernen an der Hochschule. Die momentan im Rahmen des Moduls Digitales Lehr- und Lernmanagement laufenden Projekte mit sieben DozentInnen aus zwei Fakultäten und dem MNZ sowie die Vorbereitung der Gründung einer Projektgruppe Jupyter im Rahmen des IDLL zeigen, dass die Probleme der Kollegenschaft in verwandten Fachgebieten sehr ähnlich sind und mit einem gemeinsamen Ansatz viel bewegt werden kann.
Franziska Amlung: Es ist zum Teil sehr viel neues Lehrmaterial entstanden: Vorlesungsaufzeichnungen, Erklärvideos, Selbstlernaufgaben, Anleitungen und Skripte. Diese können auch weiterhin in der Lehre eingesetzt werden, für das Selbststudium oder auch im Sinne des Flipped Classroom-Ansatzes. Lehrveranstaltungen, die dieses Potential nutzen, werden sich ganz automatisch weiterentwickeln. Durch den Zuwachs an digitalen Lehr-Lern-Möglichkeiten, den wir derzeit erfahren, können sehr flexible und individuelle Szenarien entstehen, die sich jede Lehrperson mit den Studierenden so wählen kann, wie die jeweiligen Rahmenbedingungen es zulassen oder erfordern.
FP: Was fehlt am meisten?
Gabriele Hooffacker: In der Mittagspause Klamauk mit den Kolleg*innen machen.
Sebastian Gomon: Mir fehlen die zufälligen, nicht geplanten Begegnungen und der daraus entstehende Austausch. VKs und TelKos sind doch immer sehr vorsätzlich.
Katja Hornoff: Hier schließe ich mich an, diese Flurgespräche können durch BBB & Co. nicht ersetzt werden, irgendwie hat man im digitalen Raum schneller das Gefühl man muss zur Sache kommen und „darf“ keine wertvolle Zeit für Informelles verschwenden.
Klaus Hering: Sich in einer nicht-technischen Umgebung mit Kolleg*innen und Studierenden ungezwungen unterhalten zu können. Auf der anderen Seite bin ich aber durch die Situation z.B. innerhalb von Chats mit Kolleginnen und Kollegen viel enger in Kommunikation, als ich das früher gewesen bin. Aber noch eine ganz andere Sache: Ich würde mir wünschen, dass die momentane Extremsituation dazu führt, wichtige Grundfunktionalitäten der Unterstützung der digitalen Lehre nach vielen Jahren nun endlich einmal in moderatem Umfang permanent personell zu untersetzen