Welche Vorteile der Einsatz von Python und Jupyter hat, warum Wert auf Open-Source gelegt wird uvm. beantworten Professor Jochen Merker (MNZ) und Professor Konrad Schöbel (FDIT) im Gespräch.
► Das Gespräch in Kürze
Was sind die Vorteile beim Einsatz von PyRope – dem E-Assessment-Systems - für Studierende beim Lernen?
Durch die einfache Aufgabenerstellung in unserem System bleibt mehr Zeit für didaktische Überlegungen bei der Aufgabengestaltung. Das System wird Open Source betrieben, sodass Aufgaben untereinander von Lehrenden geteilt werden können. Auf die Weise entsteht ein relativ großer frei zugänglicher Aufgabenpool. Außerdem können Studierende während der Bearbeitung von Mathematik-Aufgaben nebenbei Programmieren lernen. In die Aufgaben können Skripte, Kommentare, Bilder, Videos etc. zum Lernen integriert werden.
Wie wird in PyRope das Feedback für die Studierenden implementiert?
Mit unserem System können Aufgaben flexibel erstellt und Lösungen entsprechend komplex gestaltet werden. Auf die Weise bekommt man einen größeren Einblick in die Fehlerquellen und kann ein differenzierteres Feedback geben. Individuelles Feedback ist außerdem durch das Einfügen von Videos und multimedialer Inhalte möglich.
Welche Voraussetzungen brauchen Studierende und Lehrende für die Nutzung von PyRope?
So wie sie heute jede Website nutzen, sollen Studierende das System intuitiv in der Mathematiklehre nutzen können. Die Lehrenden müssen ein paar Grundkenntnisse in Python haben, wenn sie selbst Aufgaben erstellen möchten.
Wie werden die Projektergebnisse innerhalb und außerhalb der HTWK Leipzig transferiert?
Der Transfer von Ergebnissen ist uns sehr wichtig. Das Wichtigste dabei ist, das System bekannt zu machen, damit sich Lehrende entscheiden können, daran mitzuwirken oder nicht. Außerdem ist es sehr wertvoll nachzuvollziehen, wie das System von den Nutzer:innen eingesetzt wird.
Wie ist der aktuelle Stand?
Der erste Prototyp stand relativ schnell. Der erste größere Test mit Studierenden wird dann im kommenden Wintersemester 22/23 sein.
► Das ausführliche Gepräch
In Ihrem E-Assessment für Mathematik greifen Sie mit Jupyter-Notebooks auf eine Technologie zurück, die ursprünglich nicht aus der Lehre kommt. Was war ihr Ausgangspunkt, an dem Sie gesagt haben, die Notebook-Technologie können wir gut in der Lehre an der HTWK Leipzig nutzen?
MERKER: Bei mir war es so, dass der Jupyter-Hub-Server der Fakultät Informatik und Medien die Initialzündung war. Professor Martin Grütmüller hat die Notebooks für die Programmierausbildung der Studierenden genutzt. Ich bin dann schnell darauf gekommen, dass es eine gute Idee ist, die Notebooks auch in meiner Lehre einzusetzen. In der Mathematik sind wir meist für die Grundausbildung von Ingenieuren und Ingenieurinnen zuständig. Immer wieder wird aber bemängelt, dass unsere Studierenden zu wenig Programmier-Erfahrung im Studium vermittelt bekommen. Und das Schöne an Jupiter-Notebooks ist die Möglichkeit, nebenbei programmieren zu lernen - während Mathematik-Aufgaben bearbeitet werden.
SCHÖBEL: Für mich war der Ausgangspunkt die Erkenntnis, wie gewinnbringend sich die Notebooks in der beruflichen Praxis einsetzen lassen. Als Algorithmen-Entwickler war ich viele Jahre in der Industrie tätig und habe auch mit Python programmiert. Dabei habe ich erlebt, wie sich stückchenweise die Softwareentwicklung geändert hat. Früher hat man einen Algorithmus entwickelt, den man an Kollegen und Kolleginnen im Unternehmen weitergegeben hat, die ihn dann auf ihren Daten ausprobiert haben. Und das ging immer hin und her, was sehr umständlich war. Mit den Notebooks hat sich das komplett geändert, weil man den programmierten Code mit Kommentaren und Veranschaulichungen versehen konnte. Dadurch konnten die Leute, denen man den Quellcode gab, selber schauen, was da eigentlich passiert. Als ich dann 2019 an der HTWK Leipzig als Professor angefangen habe, kam mir daher ziemlich schnell die Idee, die Notebooks auch in der Lehre einzusetzen.
„Je einfacher Aufgaben erstellt werden können, desto mehr Zeit kann in die Aufgabe und nicht in technische Herausforderungen investiert werden.“ (Professor Konrad Schöbel)
Sie beide sind habilitierte Mathematiker und lehren das Fach an der HTWK Leipzig in verschiedenen Studiengängen. Ich gehe davon aus, dass Mathematik während Ihrer Schul- und Studienzeit Ihr Lieblingsfach war. Für viele Studierende ist das aber nicht so. Welche Vorteile werden Studierende im Fach Mathematik durch ihr E-Assessment haben?
MERKER: Also der erste große Vorteil von E-Assessments generell ist, dass Studierende die Aufgaben zu dem Zeitpunkt machen, wann sie wollen und an dem Ort, wo sie wollen. Und wie gut die E-Assessments für Studierende funktionieren, hängt auch stark davon ab, wie gut oder einfach es für die Dozierenden ist, Aufgaben in diesem E-Assessment-System zu erstellen. Viele Systeme lenken Dozierende durch technische Zwänge vom eigentlichen Zweck von E-Assessments ab: Welche Aufgabenstellung ist didaktisch sinnvoll, um den Studierenden die Kompetenz beizubringen, die man ihnen beibringen möchte? Bei uns ist genau das möglich, weil die Dozierenden vollen Zugriff auf den Code haben. Wir versuchen außerdem darauf zu achten, dass alles, was Lehrende machen wollen, möglichst leicht mit Templates zu realisieren ist.
SCHÖBEL: Das sehe ich genauso: Je einfacher Aufgaben durch Lehrende erstellt werden können, desto mehr Zeit kann in die Aufgabe und nicht in technische Herausforderungen investiert werden. Für Studierende hat unser System zudem den Vorteil, dass man multimediale Aufgaben erstellen kann. Das heißt neben dem Skript können zum Beispiel Videos aus dem Internet eingebunden und Kommentare eingefügt werden. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Und noch ein Vorteil: Hat man nur wenige Aufgaben, so lernen die Studierenden mit der Zeit, was sie eingeben müssen damit sie eine richtige Lösung bekommen ohne es jedoch tatsächlich verstanden zu haben. Wir setzen daher auf Open Source: Aufgaben können von Lehrenden untereinander geteilt werden, sodass es mittelfristig sehr viele Aufgaben gibt und Studierende gar nicht alle üben können. Außerdem wollen wir Aufgaben zufällig erstellen lassen. Das heißt, es wird zum Beispiel in Formeln nicht nur ein Parameter ausgetauscht, sondern die ganze Formel wird zufällig generiert. Dadurch können wir sehen, ob Studierende eine Aufgabe wirklich verstanden haben oder nicht.
Aus zahlreichen Studien ist bekannt, dass der Lernerfolg von Studierenden signifikant von qualitativ gutem Feedback abhängt. Wie gehen Sie bei der Entwicklung ihres Aufgabenpools vor, um Studierenden Feedback bei der Bearbeitung von Aufgaben zu geben?
MERKER: Also Feedback ist immer nur so gut wie es das System erlaubt. Wir versuchen in unserem System das Feedback so zu unterstützen, dass es ganz leicht wird, individualisiertes Feedback zu erstellen. Gut ist Feedback für mich, wenn das System erkennt, welche Fehler die Studierenden gemacht haben. Das System erkennt also, welcher Fehler gemacht wurde und ordnet das in den mathematischen Kontext ein. Darauf aufbauend präsentiert man den Studierenden dann, wie sie sich weiterbilden können – zum Beispiel durch ein Video, indem genau diese fehlende Kompetenz, um diese Aufgabe zu lösen, angeeignet werden kann. Dann ist auch wichtig, dass das Feedback so gut ist, dass es die Motivation bei den Studierenden erzeugt, sich weiter mit den Aufgaben zu beschäftigen. Das ist einer der Punkte, die eben auch häufig dazu führen, dass Studierende nicht erfolgreich sind: Sie haben nicht die Motivation, sich das Wissen anzueignen. Und da spielt gutes Feedback eine wichtige Rolle. Darum geht es auch bei einem Workshop im September in Merseburg. Dort wollen wir darüber diskutieren, wie man Studierende gut motivieren kann.
SCHÖBEL: Ich würde noch hinzufügen, dass Feedback von den studentischen Lösungen abhängig sein muss. Und auch beim Feedback können Videos oder andere Ressourcen eingebunden werden. Außerdem gibt es zu den Aufgaben immer Metadaten, in die Lehrende zum Beispiel eintragen können, welche Aufgaben die Studierenden vorher gemacht haben sollten und für welche Begriffe bereits ein Verständnis vorhanden sein sollte. Und ich denke auch, die Möglichkeiten des Feedbacks, die steigen und fallen mit den Möglichkeiten, die man bei der Aufgabenerstellung hat. Wenn ich – wie bei unserem System - in der Aufgabengestaltung sehr flexibel bin und sehr unterschiedliche Aufgabentypen implementieren kann, dann kann ich auch die Lösung entsprechend komplex gestalten. Sobekomme ich dann einen größeren Einblick in die Fehlerquellen und kann aufgrund dessen auch differenzierteres Feedback geben.
"So wie sie heute jede Website nutzen, soll es auch mit den Jupyter Notebooks in der Mathematiklehre funktionieren." (Professor Jochen Merker)
Kommen wir jetzt einmal zum konkreten Einsatz von PyRope in Lehre und Studium. Welche Voraussetzungen bzw. Kompetenzen brauchen Studierende und Lehrende für die Nutzung Ihres Systems?
MERKER: Also Studierende sollen die Notebooks intuitiv nutzen können. Die Notebooks sind schon fertig vorbereitet und die Studierenden geben nur noch die Lösungen ein. So wie sie heute jede Website nutzen, soll es auch mit den Notebooks in der Mathematiklehre funktionieren. Lehrende müssen natürlich vielleicht schon ein bisschen geschult werden, denn sie müssen die Aufgaben programmieren können.
SCHÖBEL: Genau, unser Grundprinzip ist, dass Aufgaben programmiert und nicht eingegeben werden. Das heißt für die Entwicklung von Aufgaben muss man erst mal ein paar Grundkenntnisse in Python haben. Und je mehr man hat, desto interessanter kann man dann Aufgaben gestalten.
Erklärtes Ziel des Fördermittelgebers für ihr E-Assessment, der Stiftung Innovation in der Hochschullehre, ist der Transfer von Projektergebnissen innerhalb und außerhalb der geförderten Hochschulen. Wie gehen Sie mit dem Thema Transfer in ihrem Teilprojekt um?
MERKER: Wir wollen, dass das E-Assessment nachher ein Open-Source-System ist, an dem jeder mitarbeiten kann und für das jeder Aufgaben entwickeln kann. Das Wichtigste dabei ist natürlich, dass man Leuten das System bekannt macht, damit sie sich entscheiden können, daran mitzuwirken oder eben nicht. Darum ist Transfer für uns wahnsinnig wichtig. Und das machen wir durch Vernetzung und Aktivitäten bei sehr vielen verschiedenen Veranstaltungen mit unterschiedlichem Publikum. Zuletzt haben wir das System beim Netzwerktreffen Mathematik/Physik + E-Learning vorgestellt. Im September sind wir schließlich mit einem Vortrag an der Hochschule Merseburg beim bereits erwähnten Workshop „Digitale Lehre im Rahmen der Grundlagenausbildung in MINT-Fächern an Hochschulen“ vertreten.
SCHÖBEL: Transfer sehe ich in beide Richtungen: Auf der einen Seite möchten wir, wie Professor Merker gerade schon erwähnt hat, anderen das System bekannt machen. Auf der anderen Seite ist es für uns sehr wertvoll nachzuvollziehen wie das System genutzt wird. Nutzer:innen nutzen Systeme nicht zwangsläufig so, wie sich Entwickler:innen sich das vorstellen. Deshalb ist es uns wichtig, diesen Prozess zu begleiten, damit wir gegensteuern und daraus lernen können.
Sie arbeiten seit August 2021 gemeinsam mit zwei Wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen an dem E-Assessment. Wie ist der aktuelle Stand bei der Entwicklung?
SCHÖBEL: Am Anfang hatten wir relativ schnell einen Prototyp, bei dem prinzipiell alles funktionierte. Dann haben wir eine ganze Weile gebraucht, um ein unvorhergesehenes technisches Problem zu lösen. Mittlerweile haben wir das geschafft und haben einen relativ großen Funktionsumfang für die Darstellung von Aufgaben, zum Beispiel Bilder, Verlinkungen, Tabellen und Listen. Aktuell sind wir gerade beim Testen.
MERKER: Ich bin auch relativ zufrieden mit dem jetzigen Stand. Ich hätte nicht gedacht, dass man so schnell eine lauffähige Version entwickeln kann. Im Projekt selbst haben wir uns die Arbeit aufgeteilt: Professor Konrad Schöbel ist mit seinem Mitarbeiter Paul Brassel für die Entwicklung des Systems verantwortlich. Und Heike Hain ist eher für die Aufgaben und den Test des Systems zuständig. Der erste größere Test mit Studierenden wird dann im kommenden Wintersemester 22/23 sein.
Interview und Redaktion wurde von Katja Radant (durch-) geführt.