Eine Handtherapeutin, ein Maschinenbauingenieur und ein Softwareentwickler schaffen ein ebenso vielseitiges Medizinprodukt wie die Teamkomposition vermuten lässt.
Lukas Kreiner und sein Team haben ein Produkt entwickelt, das bei dem Quantifizieren von Funktionseinschränkungen der menschlichen Hand helfen soll. So könnten auf Betroffene optimal zugeschnittene Therapieansätze ausgewählt und Rehabilitationsprozesse überwacht werden.
Zunächst studiert Kreiner in Bielefeld Produktentwicklung Mechatronik. Nach seinem Bachelor verschlägt es ihn, mit dem Ziel sich im Schreinerhandwerk zu qualifizieren, für ein Jahr nach Bayern. Da eine vollumfängliche Handwerksausbildung für ihn als potenziellen Altgesellen nicht in Frage kommt, heuert er für ein Jahr bei einem dort ansässigen Tischler an. „Ich habe dort so viel gelernt, wie ich zu diesem Zeitpunkt brauchte und den Rest habe ich bei der Grundsanierung einer Wohnung im Ausbauhaus gelernt“, erinnert er sich. Diese Wohnung ist Teil eines Hausprojektes, das ihn 2015 nach Leipzig zieht.
Aufgrund seiner akademischen Vorausbildung entscheidet sich Kreiner für den Masterstudiengang Maschinenbau mit der Vertiefungsrichtung Computational Mechanics. „An der HTWK habe ich geschätzt, viele eigene Ideen verfolgen zu können. Innerhalb der Module gab es die Freiheit, eigene Projekte zu thematisieren“, blickt Kreiner zurück. Eines dieser Projekte soll später den Grundstein seiner Masterarbeit legen. „Die Geschichte beginnt vor über zehn Jahren, als die Handtherapeutin Melanie Wittich neben ihrer Arbeit einen Testaufbau entwirft, um in ihrer Praxis ein standardisiertes Verfahren zur Überprüfung der Handfunktion zu etablieren“, erinnert sich Kreiner. Dabei gehe es weniger darum, die Beweglichkeit einzelner Glieder der Hand zu bestimmen, sondern zu untersuchen, in welchem Maße die zu behandelnde Person tatsächlich bei alltäglichen Greifaufgaben Einschränkungen erleidet. Infolgedessen beschäftigt sich der Produktentwickler im Rahmen seiner Abschlussarbeit damit, den Testaufbau zu optimieren: bessere Reproduzierbarkeit, Kraftmessung, Resultate via App.
„Wir haben dann an einem Berufsgenossenschaftskongress teilgenommen, wo wir unsere Idee vorgestellt und den Prototyp, den ich damals in meiner Masterarbeit entwickelt habe, vorgeführt haben. Die Vertretenden der Berufsgenossenschaften waren ganz angetan. Obwohl wir eindeutig kommuniziert haben, dass es sich um einen Prototyp handle, erreichten uns im folgenden Jahr zahlreiche Anfragen zum Produkt. Das war für uns der Startschuss, das Ganze nach dem Studium weiterzuführen“, führt Kreiner aus.
Inzwischen steht das dreiköpfige Team mit dem Produkt kurz vor dem Markteintritt. Der Testaufbau wurde komplett überarbeitet, um sinnvolle Features wie einer App-Integration und einem multifunktionalen Mess- und Trainingsgerät ergänzt sowie zweckmäßig in einen Koffer als Komplettlösung integriert. Produziert wird hausintern mit modernen Fertigungstechniken und vorzugsweise aus nachhaltigen Werkstoffen wie Holz und Kork. „Auch weil die Anwendenden mit der Hand arbeiten, eignen sich diese Werkstoffe aus haptischen Gründen besonders gut“, fügt Kreiner hinzu. Therapeutinnen und Therapeuten sollen dann die Möglichkeit haben, ihre Patientenschaft mit dem Testkoffer und einem Tablet durch die verschiedenen Handübungen zu begleiten, Ergebnisse aufzuzeichnen, Notizen hinzuzufügen und einen Abschlussbericht auszugeben. Dieser soll Berufsgenossenschaften und Krankenkassen vorgelegt werden können.
Der Weg zum fertigen Medizinprodukt sei stark durch die Arbeit mit Normen geprägt. „Gerade beim Wechsel vom deutschen Medizinproduktegesetz hin zur europäischen Medical Device Regulation haben wir viel Beratungsgeld verbrannt. Da geht es um die präzise Anwendung von ungenauen Übersetzungen aus dem Englischen ins Deutsche, um einzelne Wörter. Bei uns war lange nicht ganz klar, wo unser Produkt einzuordnen ist, also klassifizieren Externe lieber in einem höheren Risiko, obwohl das für das Anwendungsgebiet vielleicht gar nicht begründbar ist. Die wichtigste Erkenntnis, die ich am Ende mitgenommen habe, lautet: Sei verantwortungsbewusst, versprich nicht, was letztlich nicht auch erfüllt werden kann, vertusche kein Risiko, aber lass dich nicht durch die ganzen erdenklichen Gefahren zur Resignation treiben“, fasst Kreiner zusammen. „Wenn wir ein Küchengerät entwickelt hätten, hätten wir uns viele graue Haare sparen können“, lacht Kreiner.
Autor: Johannes Nagel
SMILE und Startbahn 13 haben die HandWerk Test- und Therapietechnik eG auf ihrem Weg unterstützt. „Ohne das Gründernetzwerk wären wir nicht an dem Punkt, an dem wir jetzt sind. Gerade bei Stipendien oder Fragestellungen, mit denen ich im Studium gar nichts zu tun hatte, haben uns die Coaches unterstützt“, resümiert Kreiner.