Alumnus Dipl.-Ing. (FH) Marco Günther-Cotte im Gespräch
Dipl.-Ing. (FH) Marco Günther-Cotte studierte 1999 bis 2005 Bauingenieurwesen an der HTWK Leipzig. Seinen heutigen Chef, ebenfalls ein HTWK-Absolvent, lernte er während des Studiums beim Hochschulsport kennen: im Kletterkurs. Heute ist er Fachbereichsleiter Industrie in einer Spezialfirma für Höhenarbeiten, der Alpin Technik und Ingenieurservice GmbH in Leipzig.
An welche Situation, Person oder an welches Detail an der HTWK Leipzig können Sie sich gut erinnern und warum?
Marco Günther-Cotte: Der Campus war damals so leer, völlig anders als heute. Ich bin ja 1999 von der Universität in Weimar aus privaten Gründen an die HTWK nach Leipzig gewechselt. Man sah kaum Studenten vor Ort, außer in den Lehrveranstaltungen. Daran musste ich mich erst gewöhnen: Es gab keine Cafeteria, und die Mensa war im Keller des jetzigen Gutenberg-Baus, der damaligen Bibliothek, untergebracht. Das hat sich bis heute völlig anders entwickelt. Auf jeden Fall positiv war ein sehr guter Zusammenhalt, ein quasi familiäres Gefühl: Studenten und Professoren kannten sich und auch das Studium war deutlich strukturierter. Mir kam das sehr entgegen.
Welches Erlebnis im Studium hat Sie nachhaltig geprägt?
Günther-Cotte: In der Bauwirtschaftsvorlesung bei Prof. Raeder war ich erst verärgert: Wieso gibt es hier keinen roten Faden? Warum erzählt er den Stoff so konfus? Ich wollte ganz klassisch mitschreiben. Raeder aber war jemand, der aus einer langen beruflichen Praxis in hoher Position bei einem großen Baukonzern kam. Und ich habe erst später im Praktikum und im Job verstanden, dass sein scheinbar konfuser Stil sehr viel mit der Realität zu tun hat, wo es auch keinesfalls so wohlgeordnet zugeht wie in der Vorlesung. Ganz ungewollt habe ich so aus seinen kleinen Geschichten viel Erfahrungswissen mitgenommen.
Was haben Sie aus Ihrem Studium mitnehmen können?
Günther-Cotte: Mein Bereich bei Alpin macht ja viel Instandhaltung in Kraftwerken und chemischen Anlagen. Inzwischen denke ich, Maschinenbau wäre das passendere Studium gewesen. Das zeigt aber auch, dass eine solide Grundlagenausbildung da ist, auf der ich aufbauen konnte, da sich viele Dinge überschneiden. Was mir aber auf jeden Fall fehlte, waren die Managementkompetenzen: Die Baustoffe haben wir im Griff. Die Zusammenarbeit mit Menschen, Teamführung oder auch Kundenpflege, ist da oft deutlich komplexer.
Haben Sie daran gedacht, berufsbegleitend nochmal etwas Anderes zu studieren?
Günther-Cotte: Ja, ich habe einen weiterbildenden Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen an einer Fernhochschule absolviert, nur die Diplomarbeit, die habe ich damals nicht fertiggestellt. Das war mir aber egal, ich war noch nie scheingläubig, und das Wissen habe ich ja mitnehmen können. Ich sitze heute mit Vollblut-BWLern in Vertragsverhandlungen. Da kommt man sich sonst klein vor, wenn man nicht mitreden kann. Gerade hatte ich eine Woche Führungskräfteschulung und habe wieder keine Minute davon bereut.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag aus?
Günther-Cotte: Nachdem ich meine Kinder im Kindergarten abgegeben habe, fahre ich mit dem Rad zur Arbeit. Dort beginnt der Tag mit dem Sortieren der Mails und dem Strukturieren der anstehenden Aufgaben. Dann folgt gegen 9 ein gemeinsames Frühstück, da sitzen dann alle Mitarbeiter, fast 30 Personen, vom Geschäftsführer bis zum Lagerarbeiter, am Tisch: Das ist ein sehr sozialer und fast privater Austausch. Dann geht es in den Hauptarbeitstag. Als Bereichsleiter Industrie bin ich vor allem strategisch tätig und selten direkt an Projekten beteiligt, zuletzt als fachlicher Berater für das Reinigungs- und Wartungskonzept der Fassade der Hamburger Elbphilharmonie. Ich koordiniere eher die Projektleiter, lese Angebote, prüfe Dokumentationen und Berichte und befasse mich mit der Entwicklung neuer Geschäftsfelder oder der Akquise.
Wie sind Sie auf ihren jetzigen Job aufmerksam geworden?
Günther-Cotte: Eigentlich gar nicht, es ist einfach passiert. Klettern ist mein Hobby, und als ich in Leipzig angefangen habe, gab es beim Hochschulsport einen Kletterkurs. Dort habe ich meinen jetzigen Chef kennengelernt, er hatte damals schon seine Firma und hat den Kurs geleitet. Ausgangspunkt der Firma war das Klettern: über diesen unkonventionellen Weg kommt man in sonst schwer erreichbare Arbeitspositionen. Wobei wir nicht Klettern sagen, sondern „seilunterstützte Zugangs- und Positionierungsverfahren“. Manche Bauteile können auf diese Weise kostengünstiger begutachtet, instandgehalten oder saniert werden. Die Firma wuchs schnell. Im Jahr 2000 hatte ich meinen ersten Ferienjob beim Bau der großen Cargolifter-Halle südlich von Berlin. Und danach habe ich eher arbeitsbegleitend studiert. Zwischen der letzten Prüfung und der Diplomarbeit lagen schließlich anderthalb Jahre. Den Anstoß gab mein Chef: Los, du machst das jetzt. Es wurde damals eine Stelle in der Firma frei und dafür war ein Abschluss Voraussetzung. Mich zu überwinden, fiel mir dennoch nicht leicht.
Welchen Ratschlag würden Sie Studierenden Ihres Faches aus heutiger Sicht geben?
Günther-Cotte: Sammelt mehr Praxiserfahrung! Wir als Firma merken, dass die Anfragen der Studierenden nach Praktika und Ferienarbeiten weniger geworden sind. Wer allerdings erst nach dem Studium herausfinden will, ob ihm eher der Umgang mit Menschen und Verhandlungen oder eher die Statik im stillen Kämmerlein liegt, der kommt zu spät. Man sollte die eigenen Vorlieben gleich im Studium vertiefen können. Und mit stärkerem Praxisbezug muss man als Absolvent keine Dauerpraktika anhängen. Letztlich bin ich persönlich der Überzeugung: Natürlich braucht man rein formal gesehen einen Abschluss, viel wichtiger als alle Scheine sind aber die Inhalte.
(Stand: Dezember 2016)