Ökonomen des ZEW Mannheim und der HTWK Leipzig zeigen: Die im Pariser Klimaabkommen vereinbarten dynamischen Anreize wirken kontraproduktiv
Schmelzende Gletscher, steigende Meeresspiegel, neue Hitzerekorde – unser Klima verändert sich spürbar. Deshalb einigte sich die internationale Staatengemeinschaft bei der UN-Klimakonferenz 2015 in Paris auf gemeinsame Ziele, um den durch Menschen verursachten Temperaturanstieg einzudämmen. Die globale Erwärmung soll auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Werten sinken.
Um das zu erreichen, vereinbarten sie ein dynamisches Anreizsystem, das sogenannte „Ratcheting“. Die Vertragsstaaten sollen dabei ihre Beiträge zum Klimaschutz in regelmäßigen Abständen transparent darlegen und im Laufe der Zeit erhöhen.
Dass dieses dynamische Prinzip funktioniert, bezweifeln Wirtschaftswissenschaftler der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK Leipzig) und des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Ein Laborexperiment zeigt, dass dieses Anreizsystem sogar kontraproduktiv sein kann.
Das Discussion Paper „The Ratchet Effect in Social Dilemmas“ von Prof. Dr. Bodo Sturm (HTWK Leipzig) und Dr. Carlo Gallier (ZEW) fasst den Stand der Forschung zusammen und wird im April 2021 im Journal of Economic Behavior and Organization veröffentlicht.
In diesem Paper untersuchen die Wirtschaftswissenschaftler, welche Effekte ein dynamisches Anreizsystem wie das Ratcheting im Pariser Klimaabkommen auf das Beitragsniveau in einem Öffentliches-Gut-Spiel hat. Klimaschutz ist ein globales öffentliches Gut, bei dem es individuell rational ist, weniger als den global optimalen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Gallier und Sturm testeten, ob Probanden zu Beginn eines Öffentliches-Gut-Spiels ihre Beitragsniveaus einschränken, um künftig hohe Verpflichtungen zu vermeiden. Die Anreizsysteme schreiben vor, dass die einzelnen Beiträge mindestens so hoch oder höher sein müssen als vorherige Beiträge.
„Wir beobachten einen deutlichen und statistisch signifikanten Ratcheting-Effekt,“ fasst Prof. Sturm die Erkenntnisse zusammen. „Die Teilnehmer reduzieren zu Beginn des Spiels ihre Beiträge für das Gemeinwohl und gehen davon aus, dass höhere Beiträge in Zukunft höhere Mindestbeiträge bedeuten. Dadurch steigt das Risiko, von Trittbrettfahrern ausgenutzt zu werden.“
Klimapolitik sollte Freifahreranreize offensiver angehen
Die dynamischen Anreizsysteme führen zwar im Laufe des Spiels zu steigenden Beitragsniveaus, jedoch ist dieser Anstieg nicht stark genug, um die Effizienzverluste zu Beginn auszugleichen. „Der Grund für dieses Verhalten ist anscheinend, dass kooperative Akteure der Ausnutzung ihrer eigenen hohen Bereitschaft, etwas für das Klima zu tun, durch ‚Trittbrettfahrer‘ vorbeugen wollen“, erklärt Prof. Dr. Bodo Sturm von der HTWK Leipzig und Forschungsprofessor am ZEW. Ratcheting wirkt somit also sogar kontraproduktiv.
Für die internationale Klimapolitik resultiert aus diesen Ergebnissen: Es ist große Skepsis angebracht, dass Ratcheting eine positive Wirkung auf die tatsächlichen Beiträge zur Emissionsreduktion hat. Es gibt weder theoretische noch empirische Hinweise darauf, dass Ratcheting das Kooperationsproblem abschwächt oder gar löst. Statt wie im Pariser Abkommen darauf zu vertrauen, dass die Klimaschutzbeiträge mit Ratcheting quasi „automatisch“ steigen, sollte die Klimapolitik nach Ansicht der Wissenschaftler daher stärker als bisher die Freifahreranreize offensiv angehen. Erfolgversprechend sind insbesondere bedingt kooperative Maßnahmen, die auf Gegenseitigkeit abzielen. Hierzu zählt zum Beispiel eine höhere Bepreisung von CO₂ unter der Bedingung, dass auch andere Staaten eine solche Maßnahme durchsetzen. Staaten, die CO₂ nicht bepreisen, also sich nicht kooperativ verhalten, müssten dann von kooperativen Staaten sanktioniert werden, zum Beispiel durch CO₂-Zölle auf die Importe oder durch eine pauschale Besteuerung von Importen. Dies ist auch der Vorschlag von William Nordhaus, Ökonomie-Nobelpreisträger von 2018.
Ökonomische Laborexperimente sind eine sehr sinnvolle Methode, um die tatsächlichen Effekte bestimmter politischer Maßnahmen beurteilen zu können. Um zum Beispiel die Wirkung von Ratcheting in der Klimapolitik abschätzen zu können, müsste man eigentlich zwei Welten vergleichen: eine, in der die Staaten ihre Beiträge zum Klimaschutz mit Ratcheting leisten sowie eine andere Welt, in der sie diese Beiträge ohne Ratcheting erbringen. In der Realität gibt es aber nur die eine Welt mit Ratcheting. Erst mit einem ökonomischen Laborexperiment lassen sich beide Welten vereinfacht konstruieren und vergleichen.
Die Studie ist Teil des Drittmittelprojekts „Incentives, Fairness and Compliance in International Environmental Agreements (InFairCom)“. Darin untersuchen Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen, wie das Pariser Klimaabkommen erfolgreich umgesetzt werden kann. Das Abkommen enthält nur wenig konkrete Verpflichtungen und ist von der näheren Ausgestaltung durch weitere multilaterale Beschlüsse und der Umsetzung in den Mitgliedsstaaten abhängig. Das InFairCom-Projekt untersucht diese Verpflichtungen sowie Institutionen und Instrumente zur Umsetzung des Pariser Abkommens auf ihre Wirksamkeit für den Klimaschutz. Ziel des Projekts ist eine Analyse dessen, was Staaten und Private zu Beiträgen und Kooperation motiviert und wie entstehende Kosten fair aufgeteilt werden können.