Für die historische Bauforschung bietet „Building Information Modeling“ Potenzial. Forschende erproben die Technologie an einer Ruine in Italien
Die Römerinnen und Römer in der Antike lebten ziemlich modern: Manche ihrer Gebäude waren mit Wasserleitungen und Thermenanlagen sowie mit Fußboden- und Wandheizungen ausgestattet – und das vor rund 2.000 Jahren. Ein Beleg hierfür ist die einst prächtige Villa von Sette Bassi am Stadtrand von Rom. Sie wurde zu Zeiten von Kaiser Antonius Pius im zweiten Jahrhundert nach Christus erbaut. Heute ist von ihr nur eine Ruine übrig, doch Spuren ihrer wechselhaften Baugeschichte lassen sich in den Maurerresten finden: „Bauwerke sind oft das einzige Zeugnis ihrer Geschichte. Durch ihre Architektur und Baustile lassen sich Rückschlüsse über die Bau- und Lebenskultur jener Zeit treffen“, sagt Ulrich Weferling, Professor für Vermessungskunde an der Fakultät Bauwesen der HTWK Leipzig.
Gemeinsam mit seiner Mitarbeiterin Ilka Viehmann und den Projektpartnerinnen Prof. Thekla Schulz-Brize und Ina Seiler vom Fachgebiet Historische Bauforschung und Baudenkmalpflege der Technischen Universität Berlin (TU Berlin) erforscht er seit April 2020 die antike Villenanlage. Im Projekt „Die Villa von Sette Bassi in Rom – Bauhistorische Neubearbeitung und Rekonstruktion“ untersucht das interdisziplinäre Team zudem, wie die Methoden der historischen Bauforschung und der praktischen Denkmalpflege durch die Digitalisierung mit Gebäudeinformationsmodellen weiterentwickelt werden können. Dabei konzentrieren sich die HTWK-Forschenden vor allem auf die digitalen Methoden.
Die Villa von Sette Bassi ist eine der größten suburbanen Villenanlagen aus der römischen Kaiserzeit. Sie befindet sich unweit der Via Appia südöstlich von Rom. Ihre Hauptgebäude sind zwischen 130 und 160 n. Chr. errichtet worden. Bis ins vierte Jahrhundert soll sie bewohnt gewesen sein. Wer die Villa erbaute, ist nicht bekannt.
Historische Gebäude modellieren
Mit Gebäudeinformationsmodellen, Building Information Modeling (BIM) genannt, wird im Neubau in vielen, meist größeren Projekten gearbeitet: Mit spezieller BIM-Software erstellen Planerinnen und Planer im ersten Schritt am Computer neue Gebäude. Aus einem dort hinterlegten Katalog wählen sie sowohl Einzelbauteile wie Wände und Fenster als auch Materialien wie Beton oder Aluminium. Nach und nach entstehen detaillierte dreidimensionale Modelle von Gebäuden, die im Anschluss gebaut werden können. Doch lassen sich diese Methoden auch auf bereits bestehende Bauwerke übertragen, um so beispielsweise Ruinen zu rekonstruieren?
Um bislang die bauhistorische Qualität von alten Häusern, Brücken oder sonstigen Gemäuern zu bewerten und zur Aufarbeitung ihrer Geschichte beizutragen, fertigen Planerinnen und Planer Zeichnungen, Bildpläne und 3D-Modelle von historischen Gebäuden an. Dazu verwenden sie unterschiedliche Vermessungsverfahren, darunter die Photogrammetrie, eine berührungslose Bildmessmethode, die aus vielen Einzelbildern ein passgenaues 3D-Modell zusammensetzt, oder die Tachymetrie, die topographische Geländeaufnahmen mit Richtungen, Distanzen und Höhenunterschieden von einem bestimmten Objektpunkt aufzeigt. So werden beispielsweise Bauteile, konstruktive Besonderheiten oder Hinweise zur Gestaltung und Materialbeschaffenheit von Fassaden erkennbar. All diese Informationen sind üblicherweise in Gebäudeplänen mit Ansichten, Grundrissen und Schnitten in zweidimensionaler Sicht abgebildet.
Anpassung bisheriger BIM-Software
„Deutlich präziser und schneller wäre das Arbeiten mit einem räumlichen digitalen Informationsmodell“, sagt Architektin und Denkmalpflegerin Viehmann. Möglich wäre das, wenn BIM eingesetzt werden könnte, um Informationen über Bestandsgebäude zu verarbeiten. „In der historischen Bauforschung ist der Einsatz von Heritage Building Information Modeling (HBIM), also der Modellierung von Gebäudedaten von bestehenden Gebäuden, bislang kaum erforscht“, so Viehmann weiter. Ein Problem im HBIM-Bereich ist, dass historische Gebäude häufig stark beschädigt und deshalb die Bauteile nicht immer eindeutig zuordenbar sind. „Wenn ein Gebäude zum Beispiel ein Loch in der Wand hat, könnte das eine Tür, ein Fenster oder einfach nur ein Loch gewesen sein“, so Viehmann. Manchmal gebe es Hinweise, beispielsweise durch Reste von Türbögen, andernfalls interpretiere sie Löcher als „Öffnung“, um keine falschen Informationen in der Software zu hinterlegen. Eine passende Lösung gibt es in bisherigen Gebäudeinformationsmodellen nicht. „Diese müssen deshalb für die historische Bauforschung und die praktische Denkmalpflege angepasst werden, insbesondere die vorhandenen Werkzeuge und Materialien in den Modellierungssoftwares“, sagt Weferling. Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt bietet dazu die Möglichkeit.
Forschungsreisen nach Rom
Im Sommer 2021 sowie im Frühjahr und Sommer 2022 reisten die Forschenden für je sechs Wochen für Bauaufnahmen nach Rom. Mit Unterstützung der weiteren Projektpartner – dem Deutschen Archäologischen Institut in Rom und dem Parco dell’Appia Antica, der das Parkgelände verwaltet –, vermaßen und dokumentierten sie den gesamten Komplex der Villenanlage und erschlossen diesen in seinen Bautechniken, Raumfunktionen und Nutzungsbereichen.
Auf einer Fläche von 36 Hektar – das entspricht 50 Fußballfeldern – erfassten sie während der drei Bauaufnahme-Kampagnen so einen Bestand von mehreren Gebäuden. Dazu gehören repräsentative Wohn- und Thermengebäude mit einem großen umbauten Garten, dem sogenannten Hippodrom, einer Zisterne mit angeschlossenem Aquädukt und weiterer freistehender Häuser. Die Mauerreste ragen teilweise bis zu 15 Meter in die Höhe.
Für die Bauaufnahmen errichteten die Forschenden auf dem gesamten Gelände zunächst ein zentrales Vermessungsnetz. Danach verfolgten sie unterschiedliche Methoden: Die Leipziger nutzten zum einen Laserscanner und eine Drohne, um damit zuerst 3D-Punktwolken und anschließend aus den geometrischen Daten 3D-Modelle der Bauwerke im HBIM zu erzeugen. Zum anderen arbeiteten sie mit einer hochauflösenden Digitalkamera, die gemeinsam mit den Drohnenaufnahmen das Basiswerkzeug für die Photogrammetrie darstellt. „Auf diese Weise entstanden in kurzer Zeit verzerrungsfreie, digitale Bildpläne“, so Viehmann. Auf Grundlage der photogrammetrischen Bildpläne fertigten die Berliner Kolleginnen ihre Zeichnungen von Hand an und ordneten in diesen Bauaufnahmezeichnungen alle Informationen zur historischen Bauweise zu.
Durch die parallele Lokalisierung der gewonnenen Kenntnisse in den Bauaufnahmezeichnungen und im HBIM konnten die Forschenden vergleichen, ob mit den digitalen Methoden und den BIM-Modellen dieselben Ergebnisse der Bauaufnahme erzielt werden. Dabei zeigte sich bei HBIM ein deutlicher Vorteil: „Informationen zu Materialien, Formen, Bautechniken, Gestaltung oder Funktion von Gebäuden können wir mit HBIM genau an jene Stellen platzieren, wo sie in der Realität anzutreffen sind“, sagt Viehmann. Die Elemente können mit entsprechenden Texten, Zeichnungen oder Fotos ergänzt werden. Das erleichtert das Arbeiten im Gegensatz zu zweidimensionalen Plänen, die nur eine Referenzierung der Informationen zum Bauwerk im Raumbuch in getrennt geführten Beschreibungen und Fotos ermöglichen.
Bis zum Projektende im Herbst 2024 sollen die Modelle und eine Rekonstruktion der Hauptgebäude fertiggestellt werden. Gemeinsam mit dem Deutschen Archäologischen Institut ist zudem ein abschließender Workshop in Rom zur Baugeschichte der Villa von Sette Bassi geplant.
Videoeindruck von der Villa di Sette Bassi auf YouTube (Urheber: Parco Archeologico dell'Appia Antica)
Das Zwischenfazit
Die Ergebnisse ihrer bisherigen Forschung sind vielversprechend, findet HTWK-Professor Weferling: „BIM kann auf historische Gebäude angewendet werden, allerdings mit Einschränkungen hinsichtlich der Werkzeuge in der Software sowie der Archivierbarkeit.“ So müssen die Werkzeuge in der Software auf die historische Bauforschung angepasst werden, denn die Bauteile und die Materialien in den Bibliotheken sind auf den Neubau ausgelegt. Die Archivierbarkeit ist ein weiterer großer Mangel: Während zweidimensionale Pläne ausgedruckt und im Archiv eingelagert werden können, ist das bei einem 3D-Modell, das an eine Software gebunden ist, nur bedingt möglich. An einer Lösung zur Archivierbarkeit digitaler Modelle wird bereits durch andere Institutionen geforscht.
„Es lohnt sich, HBIM weiterzuverfolgen. Softwarefirmen erkennen bereits den steigenden Bedarf, sodass hier Entwicklungssprünge zu erwarten sind“, ist sich Viehmann sicher. Das wachsende Interesse an HBIM beobachtet sie auch auf Konferenzen und Tagungen, auf denen sie im Laufe des Projekts Zwischenergebnisse präsentiert. Anwenderinnen und Anwender könnten mit der Technologie beispielsweise ihre 2D-gezeichneten Baupläne ergänzen – und damit einen Schritt weit die klassische Bauforschung und praktische Denkmalpflege modernisieren.
Ilka Viehmann (*1991) ist seit 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der HTWK Leipzig und seit 2021 Doktorandin der Hochschule in Kooperation mit der Technischen Universität Darmstadt. Zuvor studierte sie Architektur in Kassel sowie Denkmalpflege in Halle und Dessau. | Prof. Ulrich Weferling (*1968) ist seit 2003 Professor für Vermessungskunde an der HTWK Leipzig. Seit 1996 befasst er sich in verschiedenen Forschungs- und Entwicklungsprojekten unter anderem mit der Anwendung moderner Vermessungsverfahren in der Bauaufnahme und überträgt diese auf die besonderen Anforderungen bei der Bauaufnahme von historischen Bauwerken. |
Dieser Text erschien zuerst im Forschungsmagazin Einblicke 2023 der HTWK Leipzig. Hier können Sie das Magazin digital lesen oder kostenfrei abonnieren.