HTWK Leipzig und UFZ verbessern die Planung für oberflächennahe geothermische Systeme und wollen so die regenerative Wärmewende voranbringen
Eine Reise zum Mittelpunkt der Erde, wie sie Jules Verne vor 150 Jahren beschrieb, wird immer Fiktion bleiben – dort ist es einfach viel zu heiß. Die Temperatur in den obersten Bodenschichten schwankt mit den Jahreszeiten, aber ab einer Tiefe von zehn, fünfzehn Metern ist es immer gleich warm – in Leipzig sind das beispielsweise 12 Grad Celsius. Ab hier wird es in der Erdkruste alle 100 Meter, die man nach unten gräbt, rund drei Grad wärmer. Nach menschlichen Maßstäben ist diese Wärme noch unendlich lange verfügbar. In Island versorgt die Hitze aus der Tiefe mithilfe von sechs Geothermie-Kraftwerken und Fernwärmeleitungen fast alle Haushalte mit Wärme. Doch auch hierzulande kann Geothermie mithilfe von Wärmepumpen als abgasfreie und verlässliche Wärmequelle dienen.
Weniger als ein Prozent
Ob Berliner Reichstag oder Humboldt-Forum – nicht nur diese Prestigeobjekte, sondern mehr als 400.000 Gebäude werden in Deutschland mit Geothermie beheizt und zum Teil auch gekühlt. Insgesamt macht das allerdings nur rund 1,5 Prozent des gesamten Wärmebedarfs aus. Die meisten Gebäude hierzulande besitzen Gas- oder Ölheizungen und tragen damit erheblich zu den Treibhausgasemissionen bei. „Dass Geothermie noch ein Nischendasein fristet, liegt an vielen Gründen, allen voran die hohen Investitionskosten und der komplexe Planungsprozess“, erklärt Anke Bucher. Die HTWK-Professorin für Angewandte Mechanik forscht gemeinsam mit dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) seit Jahren zur oberflächennahen Geothermie. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler möchten an möglichst vielen Stellschrauben drehen, um dieser regenerativen Energiequelle zu einem breiteren Einsatz in Deutschland zu verhelfen. „Mit oberflächennaher Geothermie können nicht nur einzelne Gebäude, sondern auch ganze Stadtteile mit Wärmeenergie versorgt werden. Das ist wichtig, um den Gebäudesektor zügig klimafreundlicher zu machen. Bislang gibt es jedoch nur wenige solcher Projekte, denn sowohl die rechtlichen Rahmenbedingungen als auch die Planungsrichtlinien sind für Einzelanlagen ausgelegt“, erklärt der Umweltinformatiker Prof. Olaf Kolditz vom UFZ.
Wie viel eine Geothermie-Anlage kostet, lässt sich oft erst nach gründlicher Untersuchung der Standortbedingungen abschätzen. So kann beispielsweise eine Probebohrung genutzt werden, um den Untergrund im Detail kennenzulernen: Aus welchen Schichten ist er aufgebaut? Wie warm ist er? Und wie schnell kann er diese Wärme abgeben? Zudem sind auch Kenntnisse über die Grundwasserverhältnisse von großer Bedeutung. Erst wenn diese Informationen vorliegen, können Planungsbüros kalkulieren, wie viele Erdwärmesonden in welcher Länge benötigt werden. Im besten Fall reicht eine Sonde – dann kann die Probebohrung dafür weiterverwendet werden. Es kann aber auch sein, dass noch weitere Bohrungen nötig sind. Jeder Bohrmeter treibt die Kosten in die Höhe – 2022 lag der Preis pro Bohrmeter bei mehr als 100 Euro. Insgesamt schlägt eine Geothermieanlage für ein Eigenheim im mittleren fünfstelligen Bereich zu Buche – das ist noch einiges mehr als bei einer Gasheizung. Noch dazu braucht es spezielle Niedertemperaturheizkörper oder Fußbodenheizungen. In Bestandsgebäuden dauert es daher sehr lange, bis sich eine Umstellung auf Geothermie rentiert. Dafür fallen für den laufenden Betrieb vergleichsweise geringe Kosten für den Strom der Wärmepumpe an.
Die Planung vereinfachen
Auch die Planung der Anlagen ist komplex. Damit die zur Nutzung der Anlage in der Regel notwendige Wärmepumpe möglichst wenig Strom benötigt, muss nicht nur der Untergrund gut bekannt sein, sondern auch der Energieverbrauch des Gebäudes. Außerdem gelten je nach Bundesland spezielle Auflagen: In Berlin beispielsweise dürfen die Bohrungen nicht tiefer als 99 Meter reichen, weil darunter ein salzhaltiger Grundwasserleiter verläuft, der auf keinen Fall mit den oberen süßwasserhaltigen Grundwasserleitern verbunden werden darf. In Hessen wiederum müssen Grundstückseigentümerinnen und -eigentümer nachweisen, dass sich der Boden an der Grenze zum Nachbargrundstück über 50 Jahre nicht messbar erwärmt oder abkühlt – gewissermaßen, um den Nachbarinnen und Nachbarn nichts wegzunehmen. „Erdwärme ist ein sogenannter bergfreier Bodenschatz“, erklärt HTWK-Projektmitarbeiter Jakob Randow, „das heißt, dass die Nutzung dieser Ressource nicht automatisch erlaubt ist, nur weil man das zugehörige Grundstück besitzt. Eine Genehmigung ist vonnöten.“ Voraussetzung hierfür sind umfangreiche Simulationen, die die Temperaturveränderungen im Boden rund um die Erdwärmesonde vorhersagen. Als Alternative zu teurer, kommerzieller Software koordiniert Kolditz' Forschungsteam am UFZ seit Jahren die Entwicklung der Open-Source-Lösung OpenGeoSys, die für beliebig skalierbare Projekte funktioniert, von Eigenheim bis Kleinstadt.
Schlüssel für eine zuverlässige Simulation ist eine gute Datenbasis. Deshalb entwickeln die Forscherinnen und Forscher des UFZ die Methoden zur Untergrunderkundung stetig weiter. Wichtig ist aber auch zu wissen, welche Parameter besonders relevant sind für die Auslegung einer Geothermieanlage. Diese Sensitivitätsanalyse hat das HTWK-Forschungsteam um Anke Bucher durchgeführt. „Die Ergebnisse sind komplex. Grob lässt sich aber sagen: Der wichtigste Einflussfaktor ist die ungestörte Ausgangstemperatur im Boden, und diese schwankt innerhalb Deutschlands beträchtlich. In Freiberg in Sachsen liegt diese beispielsweise bei nur 9 Grad, während in Frankfurt am Main stolze 15 Grad auf dem Thermometer stehen. Deshalb haben wir verschiedene Standortprofile erstellt, die künftig helfen können, unterschiedliche Gegebenheiten zu simulieren.“ Ebenfalls eine große Rolle für ein effizientes Geothermiesystem spielt die genaue Prognose des Wärme- und Kühlenergiebedarfs eines Gebäudes oder Quartiers. Dafür hat ein Team um HTWK-Professor Stephan Schönfelder ein Simulationsmodell für die Haustechnik erarbeitet, das die Simulation des Untergrunds ergänzt. Im Ergebnis wurde eine Schnittstelle zwischen den Softwarekomponenten entwickelt, um die Simulationen von Untergrund und Gebäudetechnik miteinander zu koppeln.
Die Vision
Mit den Softwareentwicklungen sowie Empfehlungen für die Planung von oberflächennahen Geothermieanlagen und zur Anpassung rechtlicher Rahmenbedingungen wollen die Forschenden einen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele leisten. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen werden im Dezember 2023 als Buch veröffentlicht. Eine Energiewende gelingt nur mit einer Wärmewende, denn der Wärmesektor macht mit etwa 56 Prozent den größten Anteil am deutschen Endenergieverbrauch aus. Insgesamt kann nach Berechnungen des Leibniz-Instituts für Angewandte Geophysik bis 2045 ein Heizenergiebedarf von 186 Terrawattstunden durch oberflächennahe und tiefe Geothermie gedeckt werden – mehr als 40 Prozent des derzeitigen Heizenergiebedarfs in deutschen Haushalten.
Autorin: Dr. Rebecca Schweier
Oberflächennahe Geothermie
Erdwärmesonden können Gebäude mit Heiz- und Kühlenergie versorgen. Dazu werden neben oder direkt unter dem Gebäude mehrere Bohrungen von typischerweise 70 bis 140 Metern Tiefe angelegt, in welche U-förmige Rohre einzementiert werden. Die Rohre werden mit Wasser und Frostschutzmittel befüllt. Eine elektrische Pumpe zirkuliert die Flüssigkeit und bringt so die im Untergrund herrschende Temperatur, zwischen 9 und 15 Grad, nach oben. Diese zum Beheizen eines Gebäudes noch zu niedrige Temperatur wird mittels einer Wärmepumpe auf ein höheres Temperaturniveau gebracht. Dabei wird über einen Wärmetauscher die Wärme aus der Sonde auf ein spezielles Gas übertragen, welches anschließend durch einen Kompressor verdichtet wird. Dadurch erhitzt sich das Gas. Die erzeugte Wärme wird schließlich an den Heizkreislauf übertragen, also an die Flüssigkeit, die durch die Heizungsrohre zirkuliert und so ein Gebäude beheizt. Nach demselben Prinzip funktionieren auch unsere Kühlschränke – nur, dass der Prozess hier umgekehrt abläuft und dadurch Kälte erzeugt.
Prof. Dr. Anke Bucher (*1967) ist seit 2007 Professorin für Angewandte Mechanik an der HTWK Leipzig. Nach ihrem Maschinenbau-Studium an der Technischen Universität Dresden arbeitete sie als Berechnungsingenieurin in Frankreich und promovierte danach zur Mechanik von Festkörpern. Ihre Erfahrungen in der Finite-Elemente-Berechnung fließen auch in ihr Forschungsprojekt zur Geothermie ein.
Dieser Text erschien zuerst im Forschungsmagazin Einblicke 2023 der HTWK Leipzig. Hier können Sie das Magazin digital lesen oder kostenfrei abonnieren.