Rekordbeteiligung bei virtuellem "Lunch & Listen" zur Sprach-KI und ihren Folgen
Von der Textverarbeitung zur Textproduktion: In nicht allzu ferner Zukunft könnte „Word“ mit einem Textgenerator ausgeliefert werden, der die Texte selbstständig schreibt. Doris Weßels, Professorin für Wirtschaftsinformatik in Kiel und Referentin des „Lunch & Listen“ am 24. Januar 2023, verwies auf die gerade bekannt gegebene Zusammenarbeit zwischen Microsoft und OpenAI, dem Hersteller von KI-Produkten wie ChatGPT3.
„Wir müssen dringend das Bewusstsein für die neue Schlüsseltechnologie schärfen“, wünschte sich Doris Weßels gleich zu Beginn der Online-Konferenz. Eine Umfrage von Moderatorin Franziska Amlung im Publikum ergab: Knapp 90 Prozent der Gäste kannten das Tool, davon hatte die Hälfte bereits damit experimentiert.
Insgesamt sprengte die Teilnahmezahl an diesem virtuellen Lunch & Listen alle Rekorde: Rund 270 Teilnehmende, Lehrende und auch Studierende der HTWK Leipzig, aber auch aus ganz Deutschland sowie der Schweiz, diskutierten im Chat.
Lotterie mit vielen Treffern
Die Funktionsweise des Tools erklärte Doris Weßels als eine Art Lotterie: „ChatGPT erzeugt fiktionale Texte“. Es habe einen Algorithmus dafür, was als nächstes Wort gewählt werden würde.Das Modell greift auf seine große Datenbasis zurück und holt die nächste passende Wortsilbe, den nächsten passenden Halbsatz heraus. Das bedeute auch, dass man bei jedem Versuch eine neue Textvariante bekommt. Sachlich richtig ist das nicht immer. Mitunter schneidet die Software bei Mathe- und Informatikklausuren auch recht gut ab. „Das Format Online-Prüfungen müssen wir überdenken“, folgerte Doris Weßels.
Noten geben leicht gemacht?
ChatGPT3 lässt ansatzweise erkennen, dass über diese Technologie künftig „Automated Essay Scoring“ (AES) möglich sein wird. Schon jetzt kann man im Chat nach Korrektheit der Aussagen, Qualität von Aufbau, Argumentation, Diskussion, Reflexion oder Sprache eines eingereichten Texts fragen. Das Ergebnis sei prüfungsrechtlich jedoch nicht solide, da es „erwürfelt“ werde. Bei einem Test von Doris Weßels bewertete das Tool einen von ihm selbst generierten Text nach unterschiedlichen Kriterien und konnte auch nachvollziehbar begründen, warum. Frage aus dem Publikum: „Inwiefern kann die Software etwas auf faktische Richtigkeit bewerten, wenn sie selbst falsche Fakten bringt?“ Die Antwort war klar: Kann sie im Moment nicht. Die Software habe kein Bewusstsein, sie sei ein „halluzinierendes System“. Das könne aber in späteren Versionen anders werden, wenn sie parallel dazu im Hintergrund online recherchieren und die Ergebnisse absichern könne.
Überhaupt werde das Tool ständig weiterentwickelt. Auch dass das System irgendwann argumentieren und schlussfolgern können, sei zu erwarten.
Kreative Texte, Bilder, Musik
Doch die Software kann nicht nur Texte erzeugen und Aufgaben berechnen. Andere Produkte des Unternehmens erzeugen nach schriftlicher Eingabe visuelle Kunstwerke und Musikstücke in bestimmten Stilen.
Was muss man an der Eingabeaufforderung (prompt) eingeben, damit ChatGPT3 einen guten Text oder ein gutes Bild ausgibt? Eine der Fähigkeiten, die Studierende heute erlernen müssten, sei, die richtigen Fragen an die Software zu stellen, so die Referentin. Doris Weßels zog die Schlussfolgerung: Man könnte „Prompting“ als Modul in die Studiengänge aufnehmen.
Folgen für Studium und Lehre
Seit November 2022 ist ChatGPT3 als Freemium-Produkt zur Markteinführung in einer Kurzversion frei verfügbar. Offenbar soll auch weiterhin eine „Sparversion“ frei verfügbar bleiben. Die Profiversion wird jedoch in absehbarer Zeit einen monatlichen Betrag kosten. Für Hochschulen bedeutet das, dass alle Studierenden gleichermaßen kostenlosen Zugriff auf solche Tools haben müssten. Doris Weßels schlägt vor, entsprechende Lizenzpakete für Hochschulen zu schnüren. Ob das Produkt dann ChatGPT oder eines der Wettbewerber wie perplexity.ai, YouChat, ChatSonic oder eine Entwicklung von Google sein wird, wird sich zeigen.
Auf jeden Fall müssten die Lehrenden ihre Aufgabenstellungen und ihre Bewertungskriterien anpassen. Doris Weßels warb für neue Kennzeichnungspflichten für KI-gestützte Textproduktion: Die Studierenden sollten die Werkzeuge angeben, die sie beim Verfassen ihrer Abschlussarbeiten eingesetzt haben. „Das darf, wenn es klug eingesetzt ist, dann nicht sanktioniert, sondern muss positiv bewertet werden“, so die Referentin.
Beispiele für gute Lehre mit Sprach-KI
Auf die Frage, ob sie ein gutes Beispiel aus der Hochschullehre nennen könne, berichtete Doris Weßels von einer Schreibwerkstatt mit Studierenden. Dabei wurden zu bestimmen Anforderungen Texte erzeugt, verglichen und bewertet. Aber man solle nicht darauf warten, bis Lehrbücher zu dem Thema erschienen seien, mahnte die Referentin mit einem Augenzwinkern. Die KI-Software werde in rasantem Tempo weiterentwickelt. Das Beste sei: Selbst ausprobieren!