Das Start-up Urban Privacy entwickelt und designt Kleidung, die vor ungewollter Datenaufzeichnung im öffentlichen Raum schützt
Überwachungskameras an Bahnhöfen, auf Marktplätzen, in Parkanlagen – es gibt immer weniger öffentliche Orte, an denen wir uns anonym bewegen können. Das wollen die Modedesignerin Nicole Scheller und der Informatiker Marcel Göbe ändern. Gleichzeitig möchten sie für Privatsphäre und Datenschutz sensibilisieren. Gemeinsam arbeitet das Gründungsteam Urban Privacy an der HTWK Leipzig an einer Modekollektion, die vor ungewollter Datenaufzeichnung schützt.
Blendende LEDs und verwirrende Muster
Mit biometrischer Erkennung können Kameras die Identitäten von gefilmten Menschen zuordnen. Dafür sind Gesichtsmerkmale wie Augen, Nase und Mund wichtig. In Kombination mit einer Bewegungsanalyse kann eine Person mit einer bis zu 98-prozentigen Genauigkeit identifiziert werden. Als Informatiker kennt Marcel Göbe die dazu eingesetzten Methoden der künstlichen Intelligenz und entwickelt gemeinsam mit Nicole Scheller modische und technische Gegenmaßnahmen: Gegen die Gesichtserkennung geht Urban Privacy mit einem speziell entwickelten Schwarz-Weiß-Muster vor. Auf die Kleidung gedruckt, verwirrt es den Algorithmus, der neben dem des Trägers oder der Trägerin eine Vielzahl anderer Gesichter erkennt, sodass eine eindeutige Zuordnung nicht mehr möglich ist. Die weiten Formen der Kollektion verbergen wichtige Hinweise auf Geschlecht, Größe und Gewicht, die für eine Bewegungsanalyse wichtig sind. Gegen Nachtsichtkameras schützen in die Kleidung gewobene LEDs, die die Kameras blenden.
Erste funktionierende Prototypen einer Datenschutzkleidung entwickelte Nicole Scheller 2017 in ihrer Bachelorarbeit. Seitdem vervollständigt sie die Kollektion ständig weiter. Dazu gehört eine spezielle Handytasche. Ein Smartphone überträgt normalerweise auch dann Daten, wenn es sich im Flugmodus befindet oder ausgeschaltet ist. Rund um die Uhr und überall. Wenn sich das Smartphone jedoch in der Datenschutz-Tasche befindet, gibt es keine eingehenden Anrufe, keine Internetverbindung und keinerlei Ortungsmöglichkeiten.
Unterstützt von Startbahn 13
Um ihre Datenschutz-Mode auf den Markt zu bringen, lassen sich Göbe und Scheller von der HTWK Leipzig unterstützen. Göbe hat hier studiert und stellte den Kontakt zu Informatik-Professor Thomas Riechert her, der das Gründungsteam betreut. Zusätzlich werden Scheller und Göbe von der HTWK-Gründungsberatung Startbahn 13 unterstützt. Mit ersten Erfolgen: 2020 konnte Urban Privacy seine Idee bei der Leipziger Gründernacht vorstellen und warb später ein einjähriges Exist-Gründungsstipendium des Bundeswirtschaftsministeriums ein. „Wir waren nicht sicher, ob das Thema zu politisch ist. Aber es geht um die Privatsphäre des Einzelnen – und diese Botschaft kam an“, so Scheller.
Seit Januar 2022 entwickeln Scheller und Göbe in Vollzeit die bisherige Kollektion weiter. Zum Auslaufen der Förderung im Dezember 2022 ist eine Crowdfunding-Kampagne geplant, mit der die gesamte Kollektion auf den Markt kommen soll. „Uns ist bewusst, dass wir einen Kampf gegen Windmühlen führen, aber das ist zugleich unser Antrieb“, beschreibt Scheller den Einsatz gegen Überwachung.
Dieser Text erschien zuerst im Forschungsmagazin Einblicke 2022 der HTWK Leipzig. Hier können Sie das Magazin digital lesen oder kostenfrei abonnieren.