Wie wir Sonnenenergie an Häuserwänden nutzen können, erproben Forschende der HTWK Leipzig mit Partnern aus der Praxis. So entstand die Solar.Shell.
Ein wenig futuristisch sieht es aus, das Firmengebäude von Aluform, einem Verarbeiter von Aluminium-Verbundwerkstoffen. An einem Feldrand bei Heilbronn sticht es aus dem am Ortsrand gelegenen Industriegebiet hervor. An der Süd- und Westfassade des Neubaus glänzen helle Drei- und Vierecke, die aus den beiden Wänden dreidimensional hervorstehen und Solarstrom erzeugen. „Die plastische Struktur entsteht automatisch, wenn wir die Photovoltaik-Module bestmöglich zur Sonne ausrichten, denn kaum eine Wand steht in einem für die Energiegewinnung optimalen Winkel“, erläutert Frank Hülsmeier, Architektur-Professor an der HTWK Leipzig. Die meisten Photovoltaikanlagen in Deutschland erzeugen dann optimal Strom, wenn sie nach Süden ausgerichtet und zwischen 30 und 35 Grad geneigt sind. Nach diesem Prinzip sind auch die über 400 Module ausgerichtet, welche in die Fassadenelemente des Firmengebäudes fest integriert sind. Sie produzieren circa 10.000 Kilowattstunden Strom im Jahr und versorgen die Büro- und Produktionsräume der Firma seit Dezember 2021 mit Energie.
Viel Potenzial, wenig Umsetzung
Photovoltaik-Anlagen erzeugten 2021 knapp ein Zehntel des in Deutschland produzierten Stroms. Ausgehend von einem weiter steigenden Strombedarf müssen wir laut Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme bis 2045 etwa siebenmal mehr Strom aus Solarenergie gewinnen, um die Ziele der Energiewende zu erreichen. Gebäudeintegrierte Photovoltaik birgt dabei großes Potenzial: 6.000 Quadratkilometer Gebäudedächer und doppelt so viel Fassadenfläche ließen sich theoretisch in Deutschland für Photovoltaik nutzen und könnten bis zu 1.000 Gigawatt Stromleistung ermöglichen. Doch Fassaden sollten nicht nur funktionell, sondern auch abwechslungsreich gestaltet sein, da sie das Bild einer Stadt prägen, findet Hülsmeier. Gemeinsam mit seinem Team entwickelt er dafür gestalterische Möglichkeiten, denn er ist überzeugt: „Um die Energiewende zu schaffen, müssen wir Architektinnen und Architekten mitnehmen. Allein flächig mit schwarzen Solarpanels behängte Wände wären keine Lösung für einen vielfältigen öffentlichen Raum.“
Sonne scheint auf Aluminium …
Ein Lösungsvorschlag von Hülsmeier und seinem Team ist die vorgehängte Fassade aus Aluminium-Verbundelementen mit integrierten Photovoltaikmodulen namens SolarShell. Frank Hülsmeier und seine wissenschaftlichen Mitarbeiter Stefan Huth und Adrian Heller suchten nach Partnern aus der Wirtschaft, die eine solche Fassade bauen und somit erstmals anwenden. Mit Erfolg: Gemeinsam mit Aluform, 3A Composites, Opes Solutions und der SGB Steuerungstechnik verfeinerten sie die Technik der SolarShell, passten die Fassadenelemente den Anforderungen in Heilbronn an und fanden Lösungen für Herausforderungen, die sich beim Planen, Bauen und Anwenden ergaben. Zum Beispiel, wie die Photovoltaik-Module am besten am Alu-minium-Verbundstoff befestigt werden können. „Die Suche nach einem Klebstoff-Partner war am schwierigsten. Nur wenige hatten einen für die Fassade zugelassenen Aluminium-Glas-Kleber“, erinnert sich Stefan Huth. „Der Klebstoff muss immerhin Temperaturen von minus 20 bis plus 80 Grad Celsius standhalten.“
Wie eine Fassade mit einer integrierten Photovoltaik-Anlage im Detail aussieht, berechnet ein Algorithmus, den Huth und Heller in monatelanger Arbeit programmiert haben. Darin fließen Informationen wie Gesamtfläche, erwünschter Stromertrag, Standort, Himmelsrichtung und die Eigenschaften der verwendeten Materialien ein. Ein Computerprogramm berechnet dann, wie groß die Einzelelemente sein müssen, um den Platz optimal auszunutzen. Diesen Vorschlag können Architektinnen und Architekten dann mit ihren Gestaltungsideen erweitern.
Zusätzlich zur Fassade bei Heilbronn bauten die Forscher und Partner zwei rechtwinklig zueinanderstehende Wände mit SolarShell-Fassadenelementen im Technikum des Konzerns 3A Composites in Singen am Bodensee. „Dort können wir veranschaulichen, wie sich dieses Bauteil verhält, wie viel Strom es produziert und wie die Photovoltaikmodule gewartet und ausgetauscht werden können“, erklärt Heller.
… und auf Beton
Mit Metall gestalten Architektinnen und Architekten verhältnismäßig selten Fassaden. Häufig bestehen Gebäudewände aus Mauersteinen oder Betonbauteilen, die von außen gedämmt und verputzt werden. Manchmal sollen die Materialien aber sichtbar bleiben: In der modernen Architektur wird beispielsweise gern Sichtbeton als gestalterisches Element verwendet. Auch dort könnte Photovoltaik zum Einsatz kommen. Doch wie genau? Dafür untersuchen Hülsmeier und sein Team derzeit verschiedene Lösungen – mit der gleichen Grundidee wie bei Solar-Shell: Die Photovoltaikmodule sollen sich optimal zur Sonne ausrichten, der Beton passt sich als Designelement gestalterisch dieser Maßgabe an, sodass sich auch hier eine glatte Wand in eine dreidimensionale Struktur verwandelt.
Doch individuelle Einzelanfertigungen sind keine Lösung: Betonhersteller müssen Fertigteile in Serie produzieren, um wirtschaftlich zu sein. Dafür benötigen sie Schalungsformen, die mehrmals verwendet werden können und sich vielfältig einsetzen lassen. Um dem gerecht zu werden, setzen die Forschenden auf ein sechseckiges Beton-Modul, denn diese Wabenform ermöglicht verschiedenste Designideen. Im Zentrum der Wabe ist das Solarmodul befestigt. Geht es kaputt oder erbringt es im Laufe seines Lebens weniger Leistung, kann es ausgetauscht werden. „Im Moment nutzen wir einen verdeckten Rahmen, um die Photovoltaik im Betonmodul zu befestigen und wieder zu lösen“, erläutert Huth den aktuellen Stand der Forschung. Im Herbst 2022 soll die erste Betonhexagon-Photovoltaik-Fassade an einem Schulungsgebäude beim Projektpartner Hering Bau in Burbach errichtet werden.
Dann sind bereits in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen Gebäude zu sehen, deren Fassaden aus Aluminium oder Beton Solarenergie produzieren und mit ihrer anspruchsvollen Gestaltung ins Auge fallen. Ein wichtiger Schritt in Richtung nachhaltiges Bauen, denn wenn technischer Fortschritt ästhetisch umgesetzt ist, greifen Architektinnen und Architekten die neuen Möglichkeiten zur Fassadengestaltung hoffentlich gern auf.
Prof. Frank Hülsmeier (*1964) ist seit 2002 Professor für Gebäudetechnik, Energiekonzepte und Bauphysik an der HTWK Leipzig und leitet seit 2009 das hausinterne Architektur-Institut Leipzig. Zuvor lehrte er an Hochschulen in Darmstadt und Hildesheim, sammelte in Architekturbüros in Berlin, Darmstadt und Hamburg praktische Erfahrungen und gründete 2004 in Leipzig sein eigenes Architekturbüro.
Dieser Text erschien zuerst im Forschungsmagazin Einblicke 2022 der HTWK Leipzig. Hier können Sie das Magazin digital lesen oder kostenfrei abonnieren.