Angewandte Mathematik schafft Methoden für den Bau von digitalen Zwillingen. Ein solches virtuelles Modell soll den Wassergehalt in Wolken vorhersagen
Wolken sind zentral für die Wetter- und Klimaforschung. Ihr Wassergehalt zeigt, ob und wie stark es regnen wird – das ist wichtig für die Wettervorhersage und die Warnung vor Starkregen. Die Art der Wolken beeinflusst aber auch das Klima: Die tiefliegenden dicken Wolkenschichten reflektieren Sonnenstrahlen zurück ins All und wirken damit abkühlend, die höheren dünnen Wolkenschichten erwärmen den Planeten. Um Wolken zu beobachten, kommen aktuell verschiedene Methoden zum Einsatz: Mittels Lidar – einem Messverfahren ähnlich dem Radar, das Laser-Licht-Impulse in die Atmosphäre sendet – können Meteorologinnen und Meteorologen vor allem den Wassergehalt im unteren Teil der Wolke identifizieren. Dopplerradare wiederum können zwar die gesamte Wolke erfassen, sind aber weniger genau. Ihre Messungen helfen jedoch, Eis und Wasser besser zu unterscheiden.
Jochen Merker, HTWK-Professor für Analysis und Optimierung, und Dr. Willi Schimmel, Postdoktorand am Leibniz-Institut für Troposphärenforschung, wollen die Trefferquote der Voraussagen mithilfe mathematischer Berechnungen erhöhen: Sie entwickeln, gefördert vom sächsischen Wissenschaftsministerium, einen digitalen Zwilling für Fernerkundungssysteme in den Umweltwissenschaften, der den Wassergehalt in Wolken genauer bestimmt.
Mit Messdaten trainieren
Dafür füttern die Mathematiker eine künstliche Intelligenz (KI) zunächst mit Daten aus zwei Jahren Wolkenbeobachtung, gemessen in Leipzig für die nördliche und in Punta Arenas in Chile für die südliche Erdhalbkugel. Für die Messungen und seine Dissertation arbeitete Willi Schimmel mit dem Institut für Meteorologie der Universität Leipzig zusammen. Radar- und Lidaraufzeichnungen liefern Erkenntnisse über die Menge und den Zustand des Wassers: gefroren, gasförmig oder flüssig. „Mit diesen Messdaten trainieren wir derzeit eine KI, damit sie einen fundierten Tipp für den Wassergehalt in Wolken allein anhand von Dopplerradarmessungen abgeben kann“, beschreibt Schimmel das Vorgehen. Der digitale Zwilling könnte die oft nicht verfügbaren und teueren Lidarmessungen überflüssig machen, wenn sich zeigt, dass die KI den Wassergehalt von Wolken besser voraussagt.
Die Mathematiker erforschen, welche Werte der digitale Zwilling benötigt, um valide Aussagen zu treffen: „Die Vorhersage der KI darf nicht zu sensitiv von den Trainingsdaten abhängen, damit die Prognose zuverlässig ist“, so Merker. „Wir bewerten derzeit, bei welchen Wolkenarten die KI einen sehr zuverlässigen Tipp abgeben kann und bei welchen das nicht funktioniert. Letzteres ist bisher nur bei wenigen Ausnahmen der Fall.“ Zudem analysieren Merker und Schimmel, wie viele Daten tatsächlich für die Bestimmung des Wassergehalts in den Wolken erforderlich sind – eine Modellreduktion ist vonnöten. Sie sorgt dafür, schnell eine passende Antwort in einer vertretbaren Zeit zu bekommen. Daran wird in der Mathematik bereits seit einer Dekade geforscht. Auch Merker und Schimmel stellten neue numerische Methoden bei Konferenzen vor und erweitern somit das Spektrum der Möglichkeiten bei der Anwendung von Mathematik.
Digitaler Zwilling
Ein digitaler Zwilling bildet ein Objekt oder ein System in einem virtuellen Modell während des gesamten Lebenszyklus ab. Das Modell wird mit Echtzeitdaten gepflegt und setzt Simulation, maschinelles Lernen und Schlussfolgerungen als Unterstützung zur Entscheidungsfindung ein.
Dieser Text erschien zuerst im Forschungsmagazin Einblicke 2023 der HTWK Leipzig. Hier können Sie das Magazin digital lesen oder kostenfrei abonnieren.