HTWK-Ingenieure wollen Elektroautos beim Laden intelligent ins Stromnetz einbinden und so zur Netzstabilität beitragen. Der erste Testeinsatz soll 2020 in Finnlands Hauptstadt Helsinki stattfinden.
Nicht mehr als 1,5 Grad Celsius soll es bis zum Jahr 2100 wärmer werden. Das ist eines der Ziele des Pariser Klimaabkommens. Um es zu erreichen, muss sich unsere Energieversorgung schnell verändern. Mehr erneuerbare Energien allein reichen nicht – denn der sogenannte grüne Strom muss nicht nur von Wind, Wasser und Sonne erzeugt, sondern auch flexibel gespeichert und transportiert werden. Aktuell ist unser Stromnetz dafür nicht ausgelegt. Deshalb muss das Stromnetz intelligenter und dezentraler werden, muss lernen, sich selbst zu steuern – ein bisschen wie das Internet. „Smart Grid“ ist der Begriff, den Fachleute für diese Vision verwenden.
Die Energiewende braucht ein modernes Stromnetz
„Wenn wir unsere Energieerzeugung zunehmend auf wetterabhängige Erzeuger wie Wind und Wasser umstellen, müssen wir an sonnigen, windigen Tagen überschüssige Energie speichern und flexibel nachts ins Netz zurückeinspeisen. Elektroautos können zu einem wichtigen Baustein dieses Systems werden“, ist Professor Andreas Pretschner vom Kompetenzzentrum für Elektromobilität und Ladeinfrastruktur an der HTWK Leipzig überzeugt. Das kann zum Beispiel heißen, dass das Auto selbst entscheidet, wann es lädt – nämlich wenn besonders viel Energie zur Verfügung steht. Oder sogar, dass das Auto mit seiner Batterie selbst zum dezentralen, flexiblen Energiespeicher wird, der bei Bedarf Strom ins Netz einspeist oder zur Netzstabilität beitragt. „Attraktiv ist das für Autobesitzer freilich nur dann, wenn die Bereitstellung des eigenen Fahrzeugs als Energiespeicher dem einzelnen keinen größeren Aufwand bereitet und wenn es sich finanziell rechnet“, so Pretschner.
„Das Elektroauto ist ein wichtiger Baustein für das Energienetz der Zukunft“
Prof. Andreas Pretschner
Im Projekt EVALIA arbeitet Pretschner gemeinsam mit mehreren Forschungseinrichtungen und Firmen aus Deutschland und Finnland an der praktischen Umsetzung dieser Vision. Dabei soll die Elektromobilität mithilfe eines intelligenten Lademodells, dem „Smart Charging“, in das Energienetz eingebunden werden. Eine Umrüstung der Elektroautos ist nicht nötig – die Innovation soll in den Ladesäulen stecken, die die Kommunikation mit dem Stromnetz übernehmen.
Viele Partner, ein Ziel
Marco Ulbricht entwickelt als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HTWK Leipzig seit Sommer 2018 die Software für die Kommunikation zwischen Fahrzeug und Ladesäule sowie zwischen Ladesäule und Energieversorger. Zu Testzwecken nutzt er im Labor an der HTWK Leipzig Simulationen. „Das deutsche Stromnetz ist aktuell noch nicht so intelligent, dass wir unser System hier testen können“, so Ulbricht.
Die Hardware-Entwicklung übernehmen Ebee Smart Technologies aus Berlin sowie die finnischen Unternehmen ENSTO und Parking Energy. Die elektromagnetische Verträglichkeit der Komponenten wird im EMV-Labor der Westsächsischen Hochschule Zwickau (WHZ) getestet. Das Leipziger Unternehmen Energy2Market wiederum befasst sich mit verschiedenen Geschäftsmodellen und Vergütungsoptionen, die die Teilnahme am Smart Grid für Elektromobilisten, Parkhausbetreiber und Immobilienbesitzer finanziell attraktiv machen soll.
Realllabor in Finnland
In einem Wohnquartier im Helsinkier Stadtteil Kulosaari soll Mitte 2020 in einer Art Reallabor ein Testnetz entstehen, das Elektroautos, Wohngebäude und Smart Grid miteinander verbindet. „In Finnland ist die Elektromobilität schon viel weiter verbreitet als hier. Auch das Stromnetz ist deutlich besser auf erneuerbare Energien eingestellt“, erklärt Marco Ulbricht. Funktioniert das Smart Charging in Finnland, kann es perspektivisch auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern eingesetzt werden.
Das Projekt EVALIA ist für das Kompetenzzentrum für Elektromobilität und Ladeinfrastruktur an der HTWK Leipzig eines der ersten Resultate des 2018 im Rahmen des Hochschulverbunds Saxony⁵ gestarteten Transferlabors „Vernetzte Mobilität“. Die sächsischen Hochschulen haben sich das Ziel gesetzt, ihr Wissen und ihre Kompetenzen besser zu vernetzen, um gemeinsam mit Partnern aus Wirtschaft und Gesellschaft Lösungen für die Mobilität der Zukunft zu entwickeln.