Prognose und Regulation - „Kybernetik“ und „Allgemeine Regelkreislehre“ als Beispiele vordigitaler Reflexion von Automatisierungsfolgen
Bernhard Schölkopf identifizierte die digitale Transformation kürzlich als „kybernetische Revolution“ (SZ, 15.03.2018). Als auf den Macy-Konferenzen ab 1946 die Kybernetik von Norbert Wiener ihren Namen bekam, war, so Jens Schröter (2004), „keineswegs klar, was genau die Unterscheidung analog/digital“ impliziere. Und wie heute oft Big Data, wurde auch die Kybernetik des Solutionismus verdächtig – der Reduktion aller Probleme auf technische, vermeintlich eindeutig lösbare. Richard D. Precht vermutet, das „Silicon Valley“ folge „dem Menschenbild der Kybernetik“, das in Vorhersagbarkeit Steuerbarkeit sehe. Nur noch das „Schema Problem-Lösung“ habe Priorität (Spiegel 17/2018).
Wie heute bei Predictive Policing oder Konsumwunschprognosen, war es auch das Anfangsmotiv der Kybernetik, die Zukunft vorherzusagen: Norbert Wieners nie zur Reife gelangter Anti-Aircraft-Predictor (1940) sollte künftige Positionen feindlicher Flugzeuge prognostizieren. Zwischen Schuss und Auftreffen der Projektile vergingen damals bis zu 30 Sekunden. So musste das automatisierte Geschütz den wahrscheinlichsten künftigen Ort des Zielobjektes anpeilen. Wiener, der dafür auch die Intention ausweichender Piloten in Rechnung stellte, verband statistische Prognose mit dem Feedback des zu minimierenden Vorhersagefehlers (Scherfig 2014).
Weniger bekannt ist der Physiker Hermann Schmidt, der ab 1938 an der TH Berlin Regelungstechnik lehrte und eine der Kybernetik vorangehende „Allgemeine Regelkreislehre“ institutionalisieren wollte. Er beschrieb drei fortschreitende Stufen der Aufwandsdelegierung an Technik. Nach Werkzeug und Kraftmaschine folge die Automatisierung, in der „die Technik ihre methodische Vollendung“ erreiche.
Zur Person
Boris Goesl studierte Medienwissenschaft, Literaturwissenschaft und Psychologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und schloss sein Studium mit einer Magisterarbeit über „Darstellungsformen der Unsichtbarkeit im Film“ ab. Seit 2013 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter in Forschung und Lehre am Fachgebiet Literaturwissenschaft des Instituts für Philosophie, Literatur-, Wissenschafts- und Technikgeschichte der Technischen Universität Berlin und arbeitete dort im DFG-Projekt „Zeit-Bild-Raum. Das Projektionsplanetarium zwischen Medienästhetik und Wissens-repräsentation“. Er promoviert derzeit mit einer Arbeit zur Mediengeschichte des Planetariums. Seit 2018 arbeitet er an der TU Berlin an einem neuen Forschungsprojekt zur Kybernetik und den Geisteswissenschaften, insbesondere am unerschlossenen Nachlass Hermann Schmidts und seiner „Allgemeinen Regelungskunde“.
Der Vortrag ist Teil der öffentlichen Ringvorlesung „Digitale Transformation“ im Wintersemester 2018/2019. Der Besuch ist kostenfrei, eine Anmeldung ist nicht nötig.