Radiowellen sind gewissermaßen die großen Geschwister von Mikrowellen. Mit ihnen können verschiedenste Materialien effizient erwärmt werden. Welche vielfältigen Anwendungsgebiete die Technologie ermöglicht, untersuchen Wissenschaftler der HTWK Leipzig und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) gemeinsam mit zahlreichen Unternehmen im RWTec-Netzwerk.
In mehr als jedem dritten deutschen Haushalt steht heutzutage eine Mikrowelle. Kein Wunder, denn das Küchengerät scheint für den Einsatz in Privathaushalten wie geschaffen. Schaltet man es an, so erzeugt ein Generator elektromagnetische Wellen im Mikrowellen-Frequenzbereich und leitet diese ins metallisch abgeschirmte Innere des Geräts. Die Wellen verursachen hier ein elektrisches Feld mit permanent wechselnder Richtung. Darin befindliche Wassermoleküle werden ständig neu ausgerichtet. Durch die Reibung entsteht Wärme. Ein kalter Kaffee oder ein Gericht vom Vortrag wird so innerhalb weniger Minuten heiß, während das Gefäß verhältnismäßig kalt bleibt. Im Vergleich zur Erwärmung über heiße Luft (Backofen) oder Kontakt zu heißen Flächen (Herd) geht das – zumindest bei kleinen Mengen, bei herkömmlichen Geräten sind das einige Hundert Milliliter – schnell und energieeffizient.
Für einige Anwendungen im industriellen Kontext sind die großen Geschwister der Mikrowellen allerdings deutlich besser geeignet: Radio- bzw. Kurzwellen sind etwa 100 Mal länger als Mikrowellen. Mit ihrer geringeren Frequenz können Radiowellen nicht nur Wasser, sondern auch eine Vielzahl von anderen Materialien kontrolliert aufheizen. Außerdem lassen sich mit der Technologie selbst Objekte von mehreren Kubikmetern Größe schnell und energiesparend von innen heraus erhitzen. Voraussetzung für die Erwärmung ist, dass wie auch beim Mikrowellenherd mithilfe der Radiowellen gezielt ein elektromagnetisches Feld in einem abgegrenzten Bereich erzeugt wird.
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Radiowellen: die großen Geschwister der Mikrowellen
Entdeckt wurden Radiowellen bereits vor über 100 Jahren von Heinrich Hertz. Je nach Frequenz wird zwischen Mittel-, Kurz- und Ultrakurzwellen (UKW) unterschieden. Wie der Name schon andeutet, machten Radiowellen ihre Karriere zunächst fast ausschließlich im Rundfunk. Heutzutage werden fast nur noch UKW verwendet, aber mit der entsprechenden Technik kann man über Kurzwelle noch immer Radioprogramme aus aller Welt empfangen.
Über die Jahre experimentierten Wissenschaftler auf der ganzen Welt immer wieder damit, Radiowellen ähnlich wie Mikrowellen zur Erwärmung einzusetzen, beispielsweise um Erdöl aus Ölschiefer herauszulösen. In den 1990er Jahren begannen Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig, das Verfahren für die Dekontaminierung von Böden einzusetzen.
Der Physiker Dr. Ulf Roland ist seit damals an der Erforschung und Entwicklung der Radiowellen-Technologie beteiligt. Er erzählt: „Wenn man mit einer geeigneten Elektrodenanordnung durch Radiowellen ein elektrisches Feld in einem Material erzeugt, so erwärmt es sich. Diesen Effekt kann man für eine Reihe von Anwendungen nutzbar machen. In unserer Forschung am UFZ haben wir auf diese Art Böden gereinigt, die mit Schadstoffen belastet waren. Denn so wie Wasser bei erhöhter Temperatur verdunstet, werden auch andere chemische Verbindungen durch Wärme flüchtiger. Das können zum Beispiel Lösungsmittel oder Treibstoffe sein, die in den Boden eingedrungen sind. Durch die Erwärmung des Bodens konnten wir gezielt Schadstoffe freisetzen, absaugen und die Abluft anschließend reinigen. Dadurch war es möglich, vorher belastete Böden schnell und vor allem im großen Maßstab wieder nutzbar machen.“
Das Forschungsnetzwerk RWTec
Ende der 1990er Jahre verlor die Reinigung kontaminierter Böden im Gebiet der ehemaligen DDR an Bedeutung – und die Wissenschaftler vom UFZ überlegten, welche anderen Probleme sich noch mit der Radiowellen-Technologie lösen lassen könnten. Gemeinsam mit Bauingenieuren der HTWK Leipzig entstand die Vision, die Technologie in der Gebäudesanierung einzusetzen. „In unserem ersten gemeinsamen Projekt mit dem UFZ haben wir untersucht, ob sich mit Radiowellen feuchte Gemäuer schneller trocknen und frischer Beton schneller aushärten lässt“, erzählt Detlef Schmidt, Professor für Baustofflehre an der HTWK Leipzig. Die Ergebnisse des „RWBau“-Projekts sind vielversprechend, die Ideen für abermals neue Anwendungsgebiete sprudeln.
Nach Abschluss des Forschungsprojekts 2014 gründen das UFZ und die HTWK Leipzig gemeinsam mit 13 Unternehmen aus ganz Deutschland das Forschungs- und Innovations-Netzwerk RWTec. Mit Fördermitteln aus dem „Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand“ (ZIM) des Bundeswirtschaftsministeriums ist es den Wissenschaftlern möglich, gemeinsam mit interessierten Unternehmen die Technologie weiterzuentwickeln und weitere Anwendungsfelder zu erproben. „Mittlerweile ist die Technologie soweit erforscht, dass Unternehmen sie schon bald erfolgreich einsetzen können“, erzählt Ulf Roland. Seit 2018 ist der Wissenschaftler sowohl am UFZ als auch an der HTWK Leipzig beschäftigt, wo er seitdem über den Transferverbund Saxony⁵ auch die Vernetzung mit sächsischen Wissenschaftlern und Unternehmen gezielt vorantreibt.
Ebenfalls seit 2018 ist die Koordination des Forschungsnetzwerks aus mittlerweile 21 Partnern am Forschungs- und Transferzentrum (FTZ) der HTWK Leipzig angesiedelt. „Das FTZ bietet uns die Entwicklungschancen, die für den weiteren Transfer in die Wirtschaft nötig sind“, erklärt Netzwerkmanager Dr. Ulf Trommler. Perspektivisch soll am FTZ ein Kompetenzzentrum entstehen, in dem Unternehmen unkompliziert Produkte und Dienstleistungen auf Grundlage der vielversprechenden Technologie erproben können. Die weiterhin enge Anbindung an Umweltforschungszentrum und Hochschule garantiert, dass neben der Markteinführung die weitere Erforschung der Radiowellen nicht aus dem Blick gerät.
Zur Person
Dr. rer. nat. habil. Ulf Roland
Physikstudium und Promotion an der Universität Leipzig, wissenschaftliche Stationen in Berlin, Dresden, Tübingen, Louvain/Belgien, Hamburg. Seit 1996 Erforschung der Radiowellen-Technologie und anderer umwelttechnologischer Fragestellungen am Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. 2006 Habilitation an der TU Bergakademie Freiberg. Seit 2014 wissenschaftlicher Leiter des RWTec-Netzwerks, seit 2018 Tätigkeit an der HTWK Leipzig und am UFZ.
Mehr erfahren
Möchten Sie mehr über die Radiowellen-Forschung erfahren? Dieser Text ist ein Vorabdruck aus dem diesjährigen HTWK-Forschungsmagazin EINBLICKE (Erscheinungstermin: Herbst 2018). Darin lesen Sie außerdem, wie Radiowellen zur Reparatur von Schlaglöchern, zum Schutz von Kulturgütern und zur Sanierung von feuchten Mauern eingesetzt werden.